Anita Blake 05 - Bleich Stille
mächtig. Ein ausgewachsener Geist auf einem Friedhof, der über zweihundert Jahre lang kein Begräbnis mehr gesehen hatte.
Ich starrte ihn an. Larry starrte ihn an. Solange wir ihn nicht berührten, würde uns nichts passieren. Aber auch wenn wir ihn anfassten, würde uns nichts passieren. Geister können unserem Körper eigentlich nichts anhaben. Sie können einen packen, aber wenn man sie nicht beachtet, wenden sie sich ab. Wenn man sie beachtet, können sie lästig werden. Es erschreckt Sie vielleicht, aber wenn ein Geist einem wirklich etwas antut, ist er mehr als das: ein Dämon, eine tote böse Hexe, aber kein gewöhnlicher Geist.
Während ich auf die wabernde Gestalt blickte, war ich mir gar nicht so sicher, dass dies ein gewöhnlicher Geist war. Geister verschleißen. Sie verblassen zu einem Spuk, der dann keine Gestalt mehr hat, und zu heißen Flecken, die einem einen Schock versetzen können. Danach sind sie nur noch Stellen, wo man schaudert. Geister überdauern nicht ewig. Dieser hier sah ziemlich beständig aus. Für einen Geist.
»Halt!«, schrie eine Männerstimme.
Larry und ich drehten uns danach um. Magnus Bouvier kam von der anderen Seite den Hang heraufgeklettert. Die Haare hingen ihm übers Gesicht und verbargen vor dem Mondlicht alles außer den Augen. Die leuchteten im Dunkeln, reflektierten Lichter, die ich nicht sehen konnte.
»Halt!« Er winkte mit den Armen. Sein langärmliges Hemd hing ihm über die Jeans. Er traf auf den Windkreis und blieb ruckartig stehen. Er griff mit den Händen aus, als versuchte er, ihn zu betasten.
Zwei Leute an einem Abend, die die Macht spüren konnten. Ungewöhnlich, aber irgendwie spannend. Wäre Magnus nicht vor der Polizei auf der Flucht gewesen, hätten wir uns hinsetzen und ein nettes Schwätzchen darüber halten können.
»Wir haben Ihnen gesagt, Sie sollen sich von diesem Grundstück fern halten, Mr Bouvier«, rief Stirling.
Bouvier sah zu ihm hin, indem er langsam den Kopf drehte, als konzentrierte er sich nur darauf, wie stark er die Macht spürte.
»Wir haben versucht, in dieser Hinsicht freundlich zu sein«, sagte Stirling. »Damit ist es nun vorbei. Beau.«
Der Ladevorgang bei einer Schrotflinte macht ein charakteristisches Geräusch. Ich drehte mich danach um, die Waffe in der Hand. Ich erinnere mich nicht, einen Gedanken darauf verwendet zu haben. Ich sah bloß am Lauf entlang auf Beau. Er trug eine Schrotflinte in den Armen und zielte auf niemanden. Das rettete ihn. Ich weiß genau, wenn sie in unsere Nähe gezeigt hätte, ich hätte auf ihn geschossen.
Ich sah noch doppelt. Ich konnte den Friedhof hinter meinen Augen sehen, wo kein Sehnerv mehr ist. Der Friedhof gehörte mir. Ich kannte die Toten. Ich kannte die Geister. Ich wusste, wo sämtliche Knochen lagen. Ich blickte an der Waffe entlang, sah Beau und die Schrotflinte, aber in meinem Kopf tasteten die Toten nach ihren verstreuten Körperteilen.
Die Geister waren noch wirklich. Die Macht hatte sie aufgerüttelt. Sie würden noch eine Weile tanzen und schwanken, aber dann wieder im Boden verschwinden. Es gab mehr als eine Methode, die Toten zu erwecken, aber sie blieben nicht lange.
Ich konnte die Schrotflinte nicht aus den Augen lassen, um zu sehen, was Bouvier tat. »Anita, bitte, erwecken Sie die Toten nicht.« Seine überraschend tiefe Stimme hatte den Hauch eines Flehens.
ich widerstand dem Drang, mich nach ihm umzudrehen. »Warum nicht, Magnus?« »Runter von meinem Land«, sagte Stirling. »Das ist nicht Ihr Land.« »Runter von meinem Land, oder Sie werden wegen unerlaubten Betretens erschossen.«
Beau sah zu mir. »Mr Stirling?« Er achtete sorgfältig darauf, dass die Flinte locker und harmlos in seinen Händen lag. »Beau, zeigen Sie ihm, dass wir es ernst meinen.« »Mr Stirling«, sagte er wieder, aber ein bisschen drängender. »Tun Sie, wofür ich Sie bezahle«, verlangte Stirling. Er begann, die Schrotflinte an die Schulter zu heben, aber langsam, und er beobachtete mich dabei.
»Lassen Sie es«, sagte ich. Ich atmete so lange und gleichmäßig aus, bis mein Körper ganz ruhig war. Es gab nichts außer meiner Waffe und dem, worauf ich zielte.
Beau senkte den Lauf. Ich atmete durch und sagte: »Legen Sie sie jetzt auf den Boden.«
»Ms Blake, das geht Sie nichts an«, sagte Stirling. »Solange ich zusehe, werden Sie niemanden erschießen, weil er ein Stück Land betreten hat.«
Auch
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