Anita Blake 06 - Tanz der Toten
ich nichts gewusst hatte.
Die Toten standen vor dem Loch in der Wand. Ihre Augen richteten sich auf mich, als ich sie ansah, und ich fühlte das Gewicht ihrer Blicke wie einen Schlag vor die Brust.
Die Angst um die anderen war weg, weggespült von plötzlichem Ärger. »Richard, lass ihn runter, bitte, er wird dir nichts tun. Rufe Jason von dem anderen weg.« Es musste Jason sein, wenn nicht noch ein weiterer Lykanthrop hier unten gewesen war. Aber wenn das nicht Jason war, wo war er dann?
Richard drehte den Kopf zu mir, behielt dabei den Zombie mühelos oben. »Sie haben Jason angegriffen.« »Ohne Befehl tun sie gar nichts. Jason war voreilig.«
»Sie haben uns nicht angegriffen«, berichtete Cassandra. »Sie strömten plötzlich aus der Wand. Jason hat sich verwandelt und angegriffen.«
Der riesige Wolf hatte dem Zombie den Bauch aufgerissen und zerrte an seinen Eingeweiden. Das reichte. »Pack den Wolf«, befahl ich. Der Zombie klemmte die Arme um dessen Vorderbeine. Der Wolf schlug die Zähne in die Kehle der Leiche und riss sie heraus.
Die übrigen Zombies, so sechzig bis achtzig, schwankten auf den Wolf zu. »Lass ihn los, Jason, sonst zeige ich dir, was es heißt, von Zombies angegriffen zu werden.«
Richard beugte den Arm und warf den Zombie von
Der flog durch die Luft und landete unter seinesgleichen. Die fielen um wie Bowlingkegel, nur dass diese Bowlingkegel sich von selbst wieder aufrichteten, einer allerdings hatte dabei einen Arm verloren.
Richard stand geduckt bei seinen Wölfen. »Du greifst uns an?«, fragte er empört. »Zieh deinen Wolf von meinem Zombie ab, und die Sache ist vorbei.«
»Du glaubst, du kannst mit uns fertig werden?«, fragte Cassandra. »Mit so vielen Toten ja, das weiß ich«, sagte ich. »Das würde uns wehtun«, jammerte Stephen mit einem Gesicht, als wollte er zu weinen anfangen.
Scheiße, das hatte ich vergessen. Ich war jetzt ihre Lupa. Ich hatte gedroht, Raina zu töten, wenn sie Stephen noch einmal etwas antat, und da war ich gerade im Begriff, ihn an die Zombies zu verfüttern. Da haperte es irgendwo mit der Logik.
»Wenn ich euch alle beschützen soll, müsst ihr mir auch gehorchen, oder nicht? Also geht Jason jetzt verdammt noch mal von meinem Zombie runter, oder ich schlage ihn zu Brei. Entspricht das etwa nicht dem Rudelprotokoll«
Richard drehte sich zu mir um. Er hatte einen Gesichtsausdruck, den ich bei ihm noch nie gesehen hatte: Wut gemischt mit Arroganz, oder etwas Ähnliches. »Ich glaube. Jason hat wirklich nicht von dir erwartet, dass du von ihm Gehorsam verlangst. Das hat wohl keiner von uns.«
»Dann kennt ihr mich nicht besonders gut«, stellte ich fest. »Mes amies, wie wird sich Marcus freuen, wenn wir uns gegenseitig umbringen.«
Wir sahen alle Jean-Claude an. Ich sagte: »Stopp.« Die Zombies erstarrten, als hätte einer den Film angehalten. Einer, den es mitten in der Bewegung erwischt hatte, kippte um, anstatt den Schritt zu Ende zu führen. Zombies nahmen alles furchtbar wörtlich.
Der große Wolf riss ein weiteres Stück aus dem Zombie. Der stieß einen unwillkürlichen Schrei aus. »Holt Jason von ihm runter, sonst geht der Tanz los. Zum Teufel mit Marcus. Darüber mache ich mir später Gedanken.«
»Runter von ihm, Jason, sofort«, befahl Richard.
Der Wolf bäumte sich auf und zerrte an einem Arm des Zombies. Ein Knochen brach. Der Wolf schüttelte den Arm wie ein Terrier seine Beute, sodass Blut und Gewebefetzen umherspritzten.
Richard packte den Wolf am Genick, riss ihn hoch, hielt ihn an seiner pelzigen Kehle und zwang Jason, ihn anzusehen. Der Wolf zappelte und rang nach Luft, während er mit den mächtigen Pranken Richard die Haut aufkratzte. Das Blut floss in feinen roten Linien.
Richard schleuderte den Wolf quer durch den Raum in die verharrenden Toten. »Widersetze dich nie wieder meinem Befehl, Jason, nie wieder!« Seine Stimme verlor sich in einem Knurren, das in Geheul überging. Er warf den Kopf in den Nacken und bellte. Das Bellen entstieg seiner menschlichen Kehle. Cassandra und Stephen fielen mit ein, und ihr Geheul füllte den Raum mit einem fremdartigen, schallenden Gesang.
Da wurde mir klar, dass Richard es vielleicht vermeiden könnte, Marcus zu töten, das Rudel aber niemals ohne Brutalität würde führen können. Er tat es bereits und sogar mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Fast so gleichgültig wie Jean-Claude.
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