Anita Blake 06 - Tanz der Toten
das den Leuten erklären wollen? Du wärst als Lykanthrop entlarvt. Du würdest jetzt deine Stelle verlieren, allermindestens.«
»Du hättest die Polizei rufen können.«
»Und was hätte ich ihnen sagen sollen? Dass Custard an meiner Tür geschnüffelt hat? Wenn sie die Sache untersucht hätten, wären sie erschossen worden. Der Kerl hat nicht lange gefackelt. Er hat durch die Tür geschossen, erinnerst du dich? Er wusste nicht, auf wen er feuerte.«
Er bog in die Olive ein und schüttelte den Kopf. »Du hättest es mir sagen müssen.«
»Was hätte das geändert, Richard? Außer dass du vielleicht versucht hättest, den Helden zu spielen, und dass deine berufliche Laufbahn jetzt zu Ende wäre, wenn du überlebt hättest.«
»Verflucht, verfluchter Mist.« Er schlug ein paar Mal auf das Lenkrad. Als er mich ansah, waren seine Augen bernsteingelb und fremd. »Du brauchst mich nicht zu beschützen, Anita.«
»Dito.«
Schweigen füllte den Wagen wie eisiges Wasser. Niemand war ums Leben gekommen außer einem von den Bösen. Ich hatte das Richtige getan. Aber das war schwer zu erklären.
»Es geht nicht darum, dass du dein Leben riskiert hast«, sagte Richard, »sondern dass du mich vorher loswerden wolltest. Du hast mir nicht mal eine Chance gegeben. Ich habe mich noch nie bei deiner Arbeit eingemischt.«
»Hättest du das denn als Teil meiner Arbeit angesehen?« »Es kommt deiner Stellenbeschreibung näher als meiner«, sagte er.
Ich dachte einen Augenblick lang darüber nach. »Du hast recht. Einer der Gründe, warum wir noch zusammen sind, ist der, dass du mir nie mit Machoallüren kommst. Ich entschuldige mich. Ich hätte dich warnen sollen.«
Er sah mich an, und seine Augen waren noch immer hell und wölfisch. »Habe ich tatsächlich einen Streit gewonnen?«
Ich lächelte. »Ich gebe zu, dass ich etwas falsch gemacht habe. Ist das dasselbe?« »Vollkommen dasselbe.« »Dann kannst du dir einen Punkt anschreiben.«
Er grinste mich an. »Warum kann ich dir nicht lange böse sein, Anita?« »Du bist ein sehr verzeihender Mensch, Richard. Einer von uns muss das sein.« Er fuhr zum dritten Mal an diesem Abend auf den Parkplatz vor meinem Haus. »Du kannst heute Nacht nicht hier schlafen. Die Tür ist kaputt.«
»Ich weiß.« Wenn ich aus meiner Wohnung raus musste, weil sie einen neuen Anstrich bekam, hatte ich Freunde, wo ich bleiben konnte, oder ein Hotelzimmer. Aber diesmal hatten die Bösen gezeigt, dass es ihnen egal war, wen sie sonst noch erschießen würden. Ich konnte nicht das Leben anderer Leute gefährden, auch nicht von Fremden im Hotelzimmer nebenan.
»Komm zu mir nach Hause«, bat er. Er parkte dicht an der Treppe.
»Das halte ich für keine gute Idee, Richard.«
»Die Ladung Schrot hätte mich nicht umgebracht, weil sie nicht aus Silber war. Meine Wunden wären wieder verheilt. Welche deiner Freunde können das von sich behaupten?«
»Nicht viele«, antwortete ich still.
»Ich habe ein Haus mit einem Garten drumherum. Du würdest keine unschuldigen Passanten in Gefahr bringen.« »Ich weiß, dass du einen Garten hast, Richard. Ich habe genügend Sonntagnachmittage darin verbracht.«
»Dann weißt du ja, dass ich recht habe.« Er beugte sich zu mir, und seine Augen bekamen wieder ihr gewöhnliches Braun. »Ich habe ein Gästezimmer, Anita. Mehr als das braucht nicht zu sein.«
Er war nur eine Handbreit weit weg. Ich konnte seinen Körper spüren wie eine Naturgewalt. Nicht seine übernatürlichen Wolfskräfte. Es war schlicht die reine körperliche Anziehung. Mit ihm in sein Haus zu gehen war gefährlich. Vielleicht nicht für mein Leben, aber für andere Dinge.
Wenn Jimmy die Flinte einen Komplizen in meiner Wohnung gehabt hätte, wäre ich jetzt tot. Ich war so darauf konzentriert gewesen, den einen zu töten, dass mich der andere hätte wegpusten können. Edward hatte seinem Kontaktmann inzwischen abgesagt, und es dauert ein bisschen, einen anderen Killer seines Kalibers aufzutreiben. Anstatt so lange abzuwarten, hatten sie also einen Billigen, schnell Verfügbaren angeheuert, auf die Chance hin, dass der mich erwischen und sie ein paar hundert Riesen sparen würden. Oder sie wollten mich aus irgendeinem Grund möglichst schnell um die Ecke bringen. So oder so wollten sie mich ziemlich dringend tot sehen. Meistens hatte so jemand Erfolg. Nicht unbedingt heute Nacht oder morgen. Aber solange
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