Anita Blake 06 - Tanz der Toten
Verletzungen sehen«, sagte ich. »Nicht nötig.« »Richard ...«
Er sah mich an, das halbe Gesicht voll getrocknetem Blut, der Blick verstört. »Nein, Anita, ich will deine Hilfe nicht. Ich brauche sie nicht.« Ich atmete heftig durch die Nase ein und wieder aus. »Na gut, ganz wie du willst.«
Ich rechnete damit, dass er sich entschuldigen würde, weil er mich angefahren hatte, aber er tat es nicht. Er ging einfach ins andere Zimmer und machte die Tür zu. So stand ich eine Minute lang im Wohnzimmer, unsicher, was ich tun sollte. Ich hatte seine Gefühle verletzt, vielleicht sogar seinen männlichen Stolz beleidigt. Zum Kotzen. Wenn er die Wahrheit nicht vertragen konnte, war's zum Kotzen. Da stand das Leben von Leuten auf dem Spiel. Ich konnte Richard keine tröstlichen Lügen auftischen, wenn dadurch Leute umkamen.
Ich ging ins Gästezimmer, schloss die Tür und ging schlafen. Ich zog mein langes T-Shirt an mit der Karikatur von Arthur Conan Doyle drauf. Ich hatte auch etwas Reizvolleres eingepackt. Ja, das gebe ich zu. Die Mühe hätte ich mir sparen können. Die Firestar unter dem Kissen war hart. Die Maschinenpistole kam in Reichweite unter das Bett. Daneben legte ich ein zweites Magazin. Hätte nie gedacht, dass ich so viel Munition brauchen würde, aber zwischen Mordanschlägen und Werwölfen in Rudelstärke begann ich mich ein bisschen unsicher zu fühlen.
Als ich die Silbermesser halb unter die Matratze schob, damit sie nötigenfalls in Reichweite waren, wurde mir erst richtig bewusst, wie ungeschützt ich mich tatsächlich fühlte. Aber ich ließ sie da. Besser verunsichert und überängstlich als tot.
Ich holte Sigmund aus dem Koffer und kuschelte mich unter die Decke. Ich hatte mir vage vorgestellt, dass es romantisch wäre, bei Richard zu übernachten. Zeigt, wie wenig ich wusste. Wir hatten uns an einem Abend drei Mal gestritten, selbst für mich ein Rekord. Das war vermutlich kein gutes Zeichen für die Langlebigkeit unserer Beziehung. Bei diesem Gedanken wurde mir die Brust eng, aber was sollte ich tun? Ins andere Zimmer gehen und mich entschuldigen? Ihm sagen, dass er recht hatte, wenn es gar nicht stimmte? Ihm sagen, es sei in Ordnung, wenn er sich umbringen ließ und die anderen dabei mitnahm? Es war nicht in Ordnung. Es war nicht einmal annähernd in Ordnung. Ich drückte Sigmund an mich, bis er fast in der Mitte durch war. Ich weigerte mich zu weinen. Frage: Warum setzte es mir mehr zu, vielleicht Richard zu verlieren als von einem Killer umgebracht zu werden? Antwort: Mit Gewalt kam ich zurecht, mit dem Verlust eines Menschen nicht. Ich schlief ein mit dem Pinguin im Arm und der Frage, ob ich mich weiter mit Richard treffen sollte. Aber wer würde ihn am Leben halten, wenn ich nicht mehr bei ihm war?
Mich weckte etwas. Ich blinzelte ins Dunkle und griff unters Kopfkissen nach der Firestar. Als sie sicher in meiner Hand lag, horchte ich. Es klopfte. Jemand klopfte an die verschlossene Zimmertür. Leise, zögernd. War es Richard, der sich entschuldigen wollte? Das wäre zu einfach.
Ich schlug die Decke zurück, und Sigmund segelte auf den Boden. Ich legte ihn in den Koffer, machte den Deckel zu, ohne ihn zu verriegeln, und tappte barfuß an die Tür. Ich trat seitlich heran und fragte: »Wer ist da?« »Stephen.«
Ich stieß den Atem aus, den ich unbewusst angehalten hatte, ging auf die andere Seite der Tür, mit entsicherter Waffe, und schloss auf. Ich öffnete langsam, spähte, horchte, versuchte mich zu vergewissern, dass Stephen allein war.
Er stand da in einer von Richards abgeschnittenen Trainingshosen. Die Shorts reichten ihm fast bis an die Knöchel. Ein geborgtes T-Shirt bedeckte seine Knie. Seine langen Haare waren zerzaust, als hätte er geschlafen.
»Was ist los?« Ich ließ die Waffe sinken, und er folgte meiner Bewegung mit Blicken.
»Richard ist gegangen, und ich habe Angst, allein zu sein.« Er wollte mich nicht so recht ansehen, als er das sagte, schreckte vielleicht davor zurück, was er in meinem Gesicht sehen würde.
»Was heißt, er ist gegangen? Wohin?«
»In den Wald. Er hat gesagt, er will den Mördern auflauern. Meint er Raina?« Er blickte auf, die ersten Anzeichen einer Panik huschten über sein Gesicht, die verblüffend blauen Augen waren arg groß.
Ich fasste seinen Arm, unsicher, ob das das Richtige war. Manche Leute wollen nach sexuellen Übergriffen nicht angefasst werden. Doch es schien ihn
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