Anita Blake 06 - Tanz der Toten
Stephen wieder mitnehmen, wirst du sie töten, weil du es gesagt hast, nicht meinetwegen.«
»Eine Drohung ist nichts wert, wenn man nicht gewillt ist, sie wahr zu machen«, antwortete ich. »Du würdest für Stephen töten. Warum? Weil er dir einmal das Leben gerettet hat?«
Ich schüttelte den Kopf. Es war schwer zu erklären. »Nicht nur deshalb. Als ich ihn vorhin gesehen habe und was sie ihm antaten ... Er hat geweint, Richard. Er war ... Ach, Mensch, Richard, er gehört jetzt zu mir. Es gibt eine Handvoll Leute, für die ich töten würde, um sie zu beschützen oder um sie zu rächen. Stephens Name steht seit heute auf dieser Liste.«
»Ist mein Name auch auf der Liste?«, fragte er. Er schob das Kinn über die Rückenlehne auf meine Schulter. Seine Wange rieb an meiner, und die jungen Bartstoppeln kratzten mich ganz real.
»Das weißt du.« »Ich verstehe nicht, wie du so leichthin über das Töten reden kannst.« »Ich weiß.«
»Meine Bewerbung um den Platz des Ulfric hätte mehr Gewicht, wenn ich willens wäre zu töten, aber ich bin mir nicht sicher, ob es das wert wäre.«
»Wenn du dich um der hohen Ideale willen zum Märtyrer machen willst, schön. Es gefällt mir nicht, aber gut. Mache nur nicht die Leute, die dir vertrauen, ebenfalls zu Märtyrern. Du bist mehr wert als irgendeine Sammlung von Idealen. Du hast dich heute Nacht beinahe umbringen lassen.«
»Man glaubt nicht an etwas, weil es einfach ist, Anita. Töten ist falsch.«
»Schön«, meinte ich, »aber deinetwegen wäre ich fast auch umgebracht worden. Verstehst du das nicht? Wenn sie über uns hergefallen wären, hätte ich es nicht nach draußen geschafft. Ich will nicht mit fliegenden Fahnen untergehen, nur weil du Gandhi spielen willst.«
»Du kannst beim nächsten Mal zu Hause bleiben.«
»Verdammt noch mal, darum geht es mir gar nicht, und das weißt du. Du versuchst, in einer heilen Welt zu leben, Richard. Vielleicht ist das Leben früher mal so gewesen, jetzt aber nicht mehr. Wenn du das nicht aufgibst, wirst du eines Tages draufgehen.«
»Wenn ich wirklich ein Mörder werden müsste, um zu überleben, ich glaube, ich würde lieber nicht überleben.«
Ich sah ihn an. Sein Gesicht war friedvoll, wie bei einem Heiligen. Aber man kann nur ein Heiliger werden, wenn man stirbt. Ich sah wieder auf die Straße. Ich könnte Richard aufgeben, aber wenn ich ihn allein ließ, war er irgendwann tot. Er wäre ohne jede Unterstützung in die Scheune gegangen und nie wieder rausgekommen.
In meinen Augen brannten die Tränen. »Ich weiß nicht, ob ich es überleben würde, wenn du mir wegstirbst, Richard. Bedeutet dir das denn gar nichts?«
Er küsste mich auf die Wange, und etwas Warmes lief mir den Hals hinab. »Ich liebe dich auch.«
Das waren nur Worte. Er würde für mich sterben. Er würde alles für mich tun, mal abgesehen von Selbstmord. »Du blutest mich voll«, sagte ich.
Er seufzte und lehnte sich zurück ins Dunkle. »Ich blute ziemlich kräftig. Zu schade, dass Jean-Claude nicht hier ist, um es aufzulecken.« Er presste ein bitteres Lachen durch die Kehle.
»Brauchst du einen Arzt?«
»Bring mich nach Hause, Anita. Wenn ich einen Arzt brauche, weiß ich eine Werratte, die Hausbesuche macht.« Er klang müde, erschöpft, als wollte er nicht einmal mehr sprechen. Weder über Wunden noch über das Rudel, noch über seine hohen Ideale. Ich ließ das Schweigen anwachsen und wusste nicht, wie ich es brechen sollte. Ein leises Geräusch drang durch die Dunkelheit, und ich begriff, dass Richard weinte. Er flüsterte: »Es tut mir leid, Stephen, es tut mir so leid.«
Ich sagte nichts, weil es nichts zu sagen gab. Ich hatte gerade festgestellt, dass ich Leute umbringen konnte, ohne mit der Wimper zu zucken. Kein Anfall von schlechtem Gewissen, keine Albträume, nichts. Es war, als wäre ein Teil von mir abgeschaltet. Es kümmerte mich nicht, dass ich so leicht fähig war zu töten. Dass es mich nicht kümmerte, beunruhigte mich allerdings. Doch das hatte auch sein Gutes, wie zum Beispiel heute Nacht. Ich glaube, selbst der letzte Pelz hatte mir abgenommen, dass ich es tun würde. Manchmal war es gut, schrecklich zu sein.
9
Es war zwanzig vor fünf, als Richard den noch bewusstlosen Stephen in sein Schlafzimmer brachte. Richard klebte das blutige Hemd am Rücken. »Geh schlafen, Anita. Ich kümmere mich um ihn.«
»Ich muss nach deinen
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