Anita Blake 07 - Dunkle Glut
den amerikanischen Indianerstämmen, die nur die Feinde marterten, die sie dieser Ehre für würdig hielten. Eine Ehrung, auf die ich wenig Wert legte. Aber manchmal gab es während der Folter eine Fluchtmöglichkeit. Wenn sie einem einfach die Kehle rausrissen, waren die Möglichkeiten allerdings erschöpft. Wir würden also entschieden Eindruck machen müssen. Wenn wir sie beeindruckten, würden wir sie töten. Wenn das nicht gelänge ... würden sie uns töten. Liv war nur der Anfang dieser Abendunterhaltung gewesen.
Das Wohnzimmer war wieder ein Raum mit nackten Steinwänden. Jean-Claudes Bemühungen, ihn wohnlich zu machen, lagen als Haufen aus schwarzem und weißem Stoff und zersplittertem Holz da. Das einzige, was unangetastet geblieben war, war das Porträt über dem falschen Kamin. Jean-Claude, Julianna und der narbenfreie Asher blickten auf das Kleinholz herab. Ich hatte geglaubt, dass eine unschöne Überraschung auf uns wartete, aber da stand nur Willie McCoy vor der kalten Feuerstelle. Er stand von uns weggedreht und hielt die Hände auf dem Rücken verschränkt. Der erbsengrüne Anzug zu seinen nach hinten geklatschten schwarzen Haaren tat in den Augen weh. Ein Ärmel war zerrissen und voller Blutflecke. Er drehte sich zu uns um. An der Stirn hatte er eine blutende Wunde. Er betupfte sie mit einem Taschentuch mit einem Muster aus tanzenden Skeletten. Es war aus Seide und ein Geschenk seiner Freundin, einem jahrhundertealten Vampir, der erst kürzlich zu uns gekommen war. Hannah war so groß, langbeinig und hübsch, wie Willie kurzbeinig und schlecht angezogen war, eben Willie.
Er lächelte uns an. »Wie schön, dass ihr gekommen seid.«
»Lass den Sarkasmus«, sagte ich. »Wo sind die anderen?« Ich wollte zu ihm gehen, aber Jean-Claude stoppte mich mit einer Handbewegung.
Willies Lächeln war beinahe gütig. Er sah Jean-Claude mit erwartungsvoller Miene an. So einen Gesichtsausdruck hatte ich bei Willie noch nie gesehen.
Ich sah in Jean-Claudes maskenhaftes Gesicht, er wirkte verschlossen und vorsichtig. Nein - bange.
»Was ist los?«, fragte ich. »Ma petite, darf ich dir den Wanderer vorstellen?« Ich zog die Brauen zusammen. »Was meinst du damit?«
Willie lachte. Es war sein typisches nervtötendes Wiehern, aber es lief in ein tiefes, kicherndes Knurren aus, bei dem sich mir die Nackenhaare aufstellten. Ich sah ihn an und wusste, dass mir der Schock anzusehen war.
Ich musste schlucken, ehe ich reden konnte, aber dann wusste ich nicht, was ich sagen sollte. »Willie?« »Er kann dir nicht antworten, ma petite.«
Willie stand da und blickte mich unverwandt an. Er war zu Lebzeiten ein linkischer Mensch gewesen. Nach seinen Tod war es mit ihm nicht besser geworden. Und er war noch nicht so lange tot, dass er die fremdartige Bewegungsweise der Vampire schon beherrschte. Jetzt kam er mit dieser fließenden Eleganz auf uns zugerauscht. Das war nicht Willie.
»Scheiße«, sagte ich leise. »Ist das bleibend?«
Der Fremde in Willies Körper lachte wieder. »Ich leihe ihn mir nur aus. Ich leihe mir viele Körper aus, nicht wahr, Jean-Claude?« Ich merkte, wie Jean-Claude mich zurückzog.
Er wollte auf Abstand bleiben. Ich widersprach nicht. Wir wichen zurück. Es war befremdlich, von Willie zurückgedrängt zu werden. Normalerweise war er der harmloseste Vampir, den ich kannte. Jetzt summte Jean-Claudes Hand vor Anspannung. Im Kopf konnte ich sein Herz schlagen hören. Er hatte Angst, und das machte mir Angst.
Der Wanderer blieb stehen, stemmte die Hände in die Seiten und lachte. »Angst, dass ich dich zu meinem Ross mache, Jean-Claude? Wenn du wirklich so stark bist, dass du den Erdbeweger ermorden konntest, dann solltest du mir widerstehen können.«
»Ich bin von Natur aus vorsichtig, Wanderer. Die Zeit hat diese Gewohnheit nicht verringert.« »Du hattest schon immer eine glatte Zunge im Gesicht und an vielen anderen Stellen.«
Bei der Zweideutigkeit zog ich die Brauen hoch. Ich wusste nicht, wie ich sie verstehen sollte und ob ich das überhaupt wollte. »Lassen Sie Willie gehen.« »Ihm geschieht nichts«, sagte der Vampir.
»Er ist nach wie vor in seinem Körper«, erklärte Jean-Claude. »Er fühlt und sieht. Du hast ihn nur beiseitegeschoben, Wanderer, nicht ersetzt.«
Ich sah Jean-Claude an. Seine Miene verriet nichts. »Du sagst das, als hättest du Erfahrung damit.« »Jean-Claude war früher einmal einer meiner
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