Anita Blake 09 - Herrscherin der Finsternis
macht. Sie bewirkten eine trügerische Ruhe in Körper und Verstand. Aber denken konnte ich noch. Das war gut.
Ich lag auf dem Rücken an einen glatten Stein gekettet. Neben mir war eine gekrümmte Felswand, und die Decke über mir verlor sich in Dunkelheit. Ich hätte liebend gern geglaubt, dass Bernardo und Olaf mich gerettet hatten und wir wieder in dem Höhleneingang waren, aber die Ketten machten diesen erfreulichen Gedanken zunichte. Diese Höhle war viel größer. Feuerschein flackerte über die Höhlenwand, es war wie in einer finsteren Kugel mit ein wenig goldenem Licht.
Schließlich drehte ich den Kopf nach rechts, um mir anzusehen, was da war. Zuerst dachte ich, es sei Pinotl, Itzpapalotls menschlicher Diener. Kurz fluchte ich in Gedanken, weil ich ihr glaubt hatte, aber dann merkte ich, dass er es nicht war. Er sah ihn ähnlich. Das gleiche viereckige, kantige Gesicht, die dunkle glatte Haut, die schwarzen, langen, seltsam eckig geschnittenen Haare. Doch dieser Mann war schmal in den Schultern, dünn, und er hatte nicht diese gebieterische Ausstrahlung. Er trug außerdem eine weite, kurze Hose anstelle der feschen Klamotte, die Pinotl hatte.
Da war ein glatter, runder Stein wie auf der Bühne im Obsidianschmetterling. Darauf lag jemand. Verkürzte Arme und ne, kurze dunkle Haare. Einen Moment lang dachte ich, es sei Nicky Baco, dann sah ich die nackte Brust deutlicher. Es war Paulina, seine Frau. Unterhalb der Rippen klaffte ein Loch. n hatte ihr das Herz herausgerissen. Der fremde Mann hielt Herz über seinen Kopf, als brächte er ein Opfer dar. In dem unsteten Licht wirkten seine Augen schwarz. Er senkte die Arme und kam mit dem Herzen in beiden Händen auf mich zu. Seine Hände waren so voller Blut, dass es aussah, als trüge er rote Handschuhe. Rings um den Altar standen vier Männer bereit. Sie waren von Kopf bis Fuß in weiches Leder gekleidet. Irgendetwas daran war seltsam, aber ich konnte es nicht richtig erkennen. Außerdem hatte ich gerade andere Probleme, als zu ergründen, was andere Leute anhatten.
Ich trug noch die Kevlarweste und auch meine übrige Kleidung. Wenn sie es auf mein Herz abgesehen hätten, hätten sie mich ausgezogen. Das war eine sehr beruhigende Feststellung, der Mann mit dem Herzen in den Händen zu mir kam. Er hielt es über meine Brust und begann in einer Sprache zu deklarieren, die wie Spanisch klang, aber kein Spanisch war.
Von dem Herzen tropfte Blut herab auf meine Weste. Ich zuckte zusammen. Die Ruhe von den Atemübungen ließ nach. Ich wollte nicht, dass er mich damit berührte. Nicht aus einem vernünftigen Grund oder aus Angst vor einem Zauber. Es war purer Abscheu. Ich wollte nicht mit dem Herzen eines Menschen berührt werden, das ihm soeben aus der Brust gerissen worden war. Ich hatte schon einen Pflock in ein Herz getrieben. Ich hatte sogar ein paar herausgeschnitten, um sie zu verbrennen, aber das hier war etwas anderes. Vielleicht weil ich hilflos angekettet war oder weil die tote Paulina auf dem Altar lag wie eine ausgediente Puppe. Das eine Mal, wo ich sie lebendig gesehen hatte, war sie so stark gewesen, hatte mich mit einem Gewehr bedroht. Aber das hatten schon viele Leute getan. Edward tat das andauernd. Wenn man sich über den Lauf einer Waffe kennenlernte, hieß das nicht, dass man nicht am Ende zu Freunden werden könnte. Außer, einer starb zwischendurch. Diesmal würde es keine Freundschaft geben. Nicht für Paulina.
Der Mann beendete seinen Sprechgesang und senkte das Herz herab. Ich riss an den Ketten, obwohl ich wusste, dass es nutzlos war, und sagte: »Berühren Sie mich nicht damit.« Es klang selbst sicher und stark, aber ob er Englisch verstand, blieb unklar, denn er senkte seine blutigen Hände tiefer herab, kam mir näher und näher. Er legte mir das Herz auf die Brust, und ich war dankbar, dass mir die Kevlarweste das Gefühl auf der nackten Haut ersparte.
Das Herz lag auf meiner Brust, es war lediglich Fleisch, hatte nichts Magisches an sich. Es war einfach nur tot. Dann holte es Luft, so sah es jedenfalls aus. Die Haut hob und senkte sich. Es lag auf mir, nackt und ohne Verbindung mit seinem Körper und pumpte. Plötzlich war mir mein eigener Herzschlag bewusst. In dem Moment, wo ich ihn wahrnahm, stotterte Paulinas Herz, dann schlug es im Takt mit meinem. Als der Rhythmus übereinstimmte, hörte ich einen zweiten Herzschlag. Nur dass Paulinas Herz kein Blut zum Pumpen, keinen
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