Anita Blake 10 - Ruf des Bluts
sind gegangen, fort, bis sie wieder gerufen werden.«
»Ich habe sie nicht gerufen.« Ich hob langsam den Kopf und machte die Augen auf. Die Nacht kam mir schwärzer vor. »War es wieder Raina?« , fragte er. »Ja,«
Er kniete so dicht wie möglich bei mir, ohne mich zu berühren. »Du teilst die Erinnerung mit Jason und mit Cherry.« Ich wusste nicht, ob das eine Frage oder eine Feststellung sein sollte, aber ich antwortete. »Ja.« »Das war ein voller Film«, sagte Jason. Er saß mit dem nackten Rücken an einen Baum gelehnt.
Cherry barg das Gesicht in beiden Händen. »Ich habe mir nach dieser Nacht, nach dem, was sie mir angetan hat, die Haare abgeschnitten. Eine Nacht mit ihr war der Preis dafür, dass ich in ihren Pornos nicht mitzuspielen brauchte.« Sie riss die Hände vom Gesicht weg und sagte weinend: »Oh Gott, ich habe noch immer Rainas Geruch an mir.« Sie rieb heftig die Hände an den Jeans, immer und immer wieder, als hätte sie etwas Widerliches angefasst.
»Wie kam das überhaupt?«, fragte ich. »Raina hat sich schon einmal in meinen Kopf gedrängt, aber das war ganz anders. Damals kamen mir Erinnerungsfetzen, aber kein ganzer Film. Nicht so etwas wie eben.«
»Hast du zu lernen versucht, wie die Munin zu beherrschen sind?«, fragte Jamil. »Nur um sie loszuwerden.«
Jamil kam näher und musterte mein Gesicht, als suchte er etwas. »Wärst du eine von uns, würde ich dir sagen, dass du die Munin nicht einfach abschalten kannst. Wenn du die Macht hast, sie zu rufen, dann musst du lernen, sie zu beherrschen, anstatt sie einfach auszuschließen. Denn das kannst du nicht. Sie suchen sich einen Weg zu dir.«
»Woher weißt du das alles?«, fragte ich. »Ich kannte mal eine Wölfin, die die Munin rufen konnte. Sie hasste es. Sie versuchte immer, sie abzuwehren. Es funktionierte nicht.« »Nur weil sie es nicht konnte, heißt das nicht, dass ich es nicht kann.« Ich spürte seinen warmen Atem im Gesicht. »Geh weg, Jamil«
Er zog sich zurück, aber nicht so weit, wie ich es gern gehabt hätte. »Sie ist verrückt geworden, Anita. Das Rudel musste sie exekutieren.« Er blickte an mir vorbei in die Dunkelheit. Ich drehte mich um. Da standen zwei Leute. Eine Frau mit langen blonden Haaren und einem langen weißen Kleid, wie es die Opfer in den Horrorfilmen der Fünfziger immer anhatten. Aber sie stand sehr aufrecht da, sehr selbstsicher, als wäre sie mit dem Boden verwurzelt wie ein Baum. Sie verströmte eine nahezu beängstigende Selbstsicherheit. Der Mann bei ihr war groß und schlank und braun gebrannt, seine Haare kurz und hellbraun, heller als seine Haut. Die Frau wirkte ruhig, er dagegen nervös. Von ihm ging eine Energie aus, die wie ein wirbelnder Strom über meine Haut fuhr, sodass mir die Nacht noch heißer vorkam.
»Geht es ihr gut?«, fragte die Frau. »Sie hat mit zweien von uns die Munin erlebt«, sagte Jamil. »Unabsichtlich, nehme ich an.« Die Frau klang leicht amüsiert. Ich fand das nicht amüsant. Ich stand auf, ein bisschen wackelig, aber ich stand. »Wer sind Sie?« »Ich heiße Marianne. Ich bin die Vargamor dieses Rudels.«
Mir fiel ein, dass Verne und Colin so ein Vargadingsbums erwähnt hatten. »Colin sprach gestern von Ihnen. Er sagte, Verne habe Sie zu Hause gelassen, damit Ihnen nichts passiert.«
»Eine gute Hexe ist schwer zu bekommen«, antwortete sie lächelnd. Ich sah sie zweifelnd an. »Sie wirken nicht wie eine Hexe.«
Sie belächelte mich, das war mir klar. Ihre friedfertige Herablassung zerrte an meinen Nerven. »Dann eben wie eine Hellseherin, wenn dir das lieber ist.« »Die Bezeichnung Vargamor habe ich noch nie gehört«, sagte ich.
»Sie sind selten«, erwiderte sie.« Die meisten Rudel haben keine mehr. Man hält sie für altmodisch.« »Sie sind keine Gestaltwandlerin«, stellte ich fest. Sie legte den Kopf schräg, und das Lächeln war verschwunden, als hätte ich endlich etwas Anerkennenswertes getan. »Bist du dir da sicher?«
Ich versuchte zu ergründen, wieso ich glaubte, dass sie ein Mensch oder zumindest kein Werwolf war. Sie hatte ihre eigenen Kräfte. Sie war ausreichend medial veranlagt, dass ich es spürte. Wir hatten beide gewusst, wen wir vor uns hatten, ohne dass wir uns vorzustellen brauchten. Wir kannten vielleicht nicht die genauen Fähigkeiten, hatten aber eine Verwandtschaft oder einen rivalisierenden Geist erkannt. Welche Macht sie auch bewegte, es waren keine
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