Anita Blake 10 - Ruf des Bluts
geweht, man hätte sie nicht mehr gehört. Aber hier streifte einer einen Zweig, dort raschelte ein Blatt, und das hörte man. In einer Nacht wie dieser trugen selbst die kleinsten Geräusche weit.
Neben mir knackte ein Zweig, und ich fuhr zusammen. Jamil fasste meinen Arm, und ich zuckte schon wieder zusammen.
»He, Kleine, du bist aber schreckhaft heute.« »Nenn mich nicht Kleine.« Sein Lächeln blitzte auf. »Tschuldigung.« Ich rieb mir über die Arme. »Du kannst unmöglich nicht frieren«, sagte er. »Ich friere nicht.« Meine Gänsehaut kam nicht von einem kalten Luftzug. »Was ist denn dann ?«, fragte Jason.
Ich blieb stehen, knietief zwischen irgendwelchen Gewächsen. Ich schüttelte den Kopf und spähte in die Dunkelheit. Ja, da schlichen mehrere Dutzend Werwölfe umher, aber die waren es nicht, die mich nervös machten. Es war ... es klang wie Stimmen aus einem weit entfernten Zimmer. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten, hörte sie aber deutlich - in meinem Kopf. Ich wusste, was das war. Die Munin. Die Munin auf dem Lupanar. Sie riefen nach mir, flüsterten mir über die Haut. Sie warteten begierig, dass ich endlich käme. Sie erwarteten mich. Scheiße.
Zarte starrte ebenfalls ins Dunkle. Er stand dicht bei mir, sodass ich hörte, wie er die Luft einsog. Er nahm Witterung auf.
Sie waren alle in die Nacht hinausgezogen, sogar Nathaniel. Er wirkte zuversichtlich wie noch nie, als fühlte er sich wohler in seiner Haut - ohne Scherz. Unsere kleine Zeremonie vom Nachmittag hatte den drei Leoparden viel bedeutet. Ich wusste nur nicht, was das für mich hieß.
Sie alle trugen alte Jeans und T-Shirts, in denen man sich unbesorgt verwandeln konnte, denn so kurz vor dem Vollmond I kam es manchmal zu einem Missgeschick. Nein, keine Missgeschicke heute. Heute Nacht würden auf jeden Fall einige die Gestalt wechseln. Mir wurde klar, dass ich das nicht sehen wollte. Wirklich nicht.
Asher und Damian waren nicht bei uns. Sie waren zu Colin gegangen, um zu spionieren oder mit ihm zu verhandeln. Ich hielt das für eine ausgesprochen schlechte Idee, aber Asher hatte mir versichert, dass das erwartet wurde. Dass er als Jean-Claudes Stellvertreter die Nachricht überbringen würde, wir hätten Colin und seinen Stellvertreter verschont. Wir hatten seinem menschlichen Diener erlaubt, den Kreis zu verlassen. Wir waren großzügig gewesen, obwohl wir das nicht zu sein brauchten. Nach ihren Gesetzen hatte Colin seine Grenzen überschritten. Er war der Geringere, und wir hätten ihm alles nehmen können.
Die Wahrheit war natürlich, dass Colin und Barnaby entkommen waren. Die Einzige, der wir zu gehen erlaubt hatten, war Nikki. Doch Asher versicherte mir, er könne Colin anlügen, ohne dass der es bemerkte.
Bei der Vorstellung, dass Asher und Damian allein bei Colin und Konsorten wären, zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Die Vampire hatten für alles Regeln, aber auch die Neigung, sie zu beugen, bis es knirschte. Auf jeden Fall so weit, dass sie Asher und Damian etwas antun konnten. Doch Asher war so selbstsicher gewesen, und heute Nacht hatte ich die Lupa zu spielen. Immer ein Monster nach dem andern.
Was mich außerdem nervös machte, war, dass keine Schusswaffen zugelassen waren. Messer waren erlaubt, als Ersatz für Krallen, aber keine Pistolen. Marcus hatte es ebenso gehalten. Kein Ulfric, der seinen Preis wert war, duldete eine Schusswaffe im Allerheiligsten. Ich verstand das, aber ich brauchte es ja nicht gut zu finden. Nach allem, was ich für Verne getan hatte, fand ich die Forderung geradezu ungehobelt.
Richard hatte mich in Kenntnis gesetzt, dass die Tötung der Vampire auf dem Lupanar unser Gastgeschenk an das hiesige Rudel sei.
Normalerweise verschenkte man ein frisch erlegtes Tier oder Schmuck für die Lupa oder etwas Symbolisches. Tod, Juwelen oder Magie, fast wie am Valentinstag.
Ich hatte eine Jeans an, damit ich mir nicht im Unterholz die Beine zerkratzte, obwohl es so heiß war, dass ich an den Knien schwitzte. Der Einzige von uns, der Shorts trug, war Jason. Ihn schienen die Kratzer nicht zu stören. Er war auch der Einzige mit nacktem Oberkörper. Ich hatte mir ein königsblaues Trägerhemd angezogen, damit mir wenigstens oben herum nicht heiß war. Allerdings sah man die Messerscheiden.
Das lange Messer im Nacken war nicht zu sehen, außer man strengte sich wirklich an. Das Trägerhemd war aus einem dünnen Stoff, durch das
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