Anita Blake 10 - Ruf des Bluts
Werwölfe. Keine guten Chancen. Und Richard würde alles tun, um mich zu retten - alles.
»Shang-Da«, sagte ich. Der große Leibwächter sah mich an. Ich fühlte die Schwere seines Blicks in der mondhellen Nacht.
»Richards Leben bedeutet mir mehr als meine Sicherheit Shang-Da. Lass ihn nicht sterben«, bat ich.
Er sah mich schweigend an, dann nickte er knapp. Marianne packte meinen Arm und sagte: »Lauf endlich!«
Ich lief los. Ich warf mich zwischen die Bäume in die Dunkelheit und rannte. Ich rannte, als könnte ich im Dunkeln sehen, schnellte in halb erkannte Lücken, vertraute mich dem Wald an, als wäre ich im Wasser, das sich selbstverständlich vor mir teilt. Ich überließ mich dem nächtlichen Wald, wie ich es als Kind gelernt hatte. Man verlässt sich bei Dunkelheit nicht auf sein Sehvermögen, sondern auf denselben Sinn, der einem diel Nackenhaare aufrichtet. Ich rannte und sprang und duckte mich und wusste, es würde mir nichts nützen.
27
E in langes, klagendes Geheul drang in die Nacht hinaus. Dann Knurren und ein scharfes Wimmern, das so kurz geriet, dass ich wusste, da war jemand bewusstlos geworden, vielleicht tot. Würden sie sich wirklich gegenseitig umbringen für dieses Privileg? Echte Wölfe machten solchen Scheiß überhaupt nicht. Nur der menschliche Verstand konnte ein nettes, normales Tier so verkorksen.
Ich rutschte auf einem Baumstamm aus, der mehr Durchmesser hatte als ein Kleinwagen. Ich fiel der Länge nach hin. Einen Moment lang lag ich am Boden und rang nach Atem. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich tun sollte. Ich hörte die Werwölfe nicht so sehr, wie ich sie unter den Händen im Boden spürte. Ich wusste sie auf eine Weise in der Nähe, die neu war, und zwar seit der Munin in mich eingedrungen war. Ich drückte mich gegen den mächtigen Baumstamm und stieß mit den Händen auf eine Öffnung. Er war teilweise hohl. Ich kroch in das schwarze Loch, das gezückte Messer vor mir, falls ich einem Waschbären oder einer Schlange begegnen sollte, doch da war nichts außer morschem Holz an meinem nackten Bauch und das Gewicht des dicken Stammes über mir.
Ich wusste, dass sie mich finden würden. Das war nicht da, Entscheidende. Es würde sie etwas Mühe kosten, mich aus diesem Loch zu zerren. Ich wollte Zeit schinden. Zeit wofür, wusste ich nicht. Ich brauchte einen Plan und hatte keinen. Die Munin glaubte, Richard würde uns retten. Dieser Gedanke allein machte mir Angst. Richard war zimperlich, wenn es ans Töten ging. Dass er dabei umkommen könnte, weil er mich retten wollte, war mir schrecklicher als die Vorstellung, geschnappt zu werden. Eine Vergewaltigung würde ich wahrscheinlich überleben, Richards Tod nicht unbedingt. Aber vielleicht war das auch ein vorschnelles Urteil, da ich noch nie vergewaltigt worden war.
Ich hörte, wie sie den Baumstamm umkreisten. Mehr als zwei. Drei? Vier? Scheiße.
Sie rissen mit Krallen das morsche Holz auf, und ich stieß einen dieser kurzen, schrillen Schreie aus, die fast ausschließlich den Frauen vorbehalten sind. Einer rollte sich am Boden. Ich spürte einen Schwall Energie, als er sich in einen Wolf verwandelte. Und dadurch war er aus dem Rennen. Wer Fell bekam, hatte verloren. Die Regeln zur Jagd auf die Freya waren nicht für Menschen erdacht worden, die keine andere Gestalt zur Verfügung hatten. Wir würden die geringeren Wölfe an ihr Tier verlieren, so kurz vor dem Vollmond und mit so viel Sex und Gewalt in der Luft. Wir würden vielleicht ein halbes oder ein ganzes Dutzend verlieren. Bei einem Rudel von fünfzig Wölfen war ein Dutzend weniger schon eine Erleichterung.
Der Stamm wurde von etwas Schwerem getroffen. Es gelang mir, nicht zu schreien. Immerhin eine Verbesserung. Ich hörte, dass eine Rauferei im Gange war. Mindestens zwei kämpften miteinander. Ich war fast sicher, dass ein Dritter dabei war.
Der Kampf stockte, dann gab es ein lautes Knacken, als wäre etwas gebrochen. Darauf war es so vollkommen still, dass mein Herz Donnerschläge machte.
Der Baumstamm bewegte sich. Ich erstarrte, als würde es mich retten, wenn ich einfach stillhielt.
Das Ende, an dem meine Füße waren, wurde angehoben. Die Höhle, die mich verborgen hatte, hielt mich gefangen, als dieses Ende langsam in die Luft stieg. Der Stamm war mindestens eins achtzig im Umfang. Ich konnte nicht schätzen, wie viel er wog, aber er war schwer. Ein großer Bärtiger hob ihn
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