Anita Blake 12 - Nacht der Schatten
Blick verschlug mir den Atem.
Seine Augen waren schreckgeweitet; er hatte meine Erinnerungen gesehen, sie miterlebt, wie ich manchmal seine miterlebte. Verdammter Mist.
Seine Stimme war zittrig, was ich bei ihm selten hörte. »Du hast allerhand erlebt, als du weg warst, ma petite.« »Du hast es gesehen. Dann weißt du, wie ich darüber denke, was du Gretchen angetan hast.«
Er schloss die Finger um meine Unterarme. »Ich weiß genau, wie du denkst, ma petite. Aber ich werde den Vorwurf nicht einfach hinnehmen. Ich bin der Meister der Stadt, meine Vampire leben durch mich. Wenn sie nicht selbst Meister sind, kommt ihre Lebenskraft von ihrer Abstammungslinie, bis sie dem Meister einer Stadt den Bluteid schwören. Dann ist der es, der ihr Herz schlagen lässt. Wenn sich meine Kräfte verringern, werden manche am Abend nicht wach oder sie werden zu zerstörerischen Irren wie Damian.«
Ich stemmte mich gegen ihn. »Ich werde nicht -«
»Schscht, ma petite, ich lasse mich nicht verdammen, ohne dass du mich angehört hast, diesmal nicht. Vielleicht kannst du Damian retten, aber er ist über tausend Jahre alt. Das ist, selbst wenn man kein Meister ist, eine lange Zeit, um Kräfte zum Überleben anzuhäufen. Dagegen würden Vampire wie Willie und Hannah, die keine Meister und nicht so alt sind, verblassen oder verrückt werden, und es gäbe keine Rettung für sie.«
Er schüttelte mich und hob dazu die Ellbogen an, sodass ich zur Waffe hätte greifen können. Aber ich tat es nicht, sondern sah ihn an und hörte zu.
»Willst du das, Anita? Wen würdest du opfern, um Gretchen zu retten? Gretchen, die du verabscheust. Ich habe von ihren Kräften gezehrt, weil du dich mir verweigert hast.« »Schieb das jetzt nicht auf mich«, sagte ich.
Plötzlich zog er die Knie an, sodass er rittlings auf meinen Beinen saß, richtete den Oberkörper auf und zog mich mit hoch. »Die Meister-Diener-Beziehung ist seit tausend Jahren erfolgreich, aber du wehrst dich permanent dagegen und zwingst mich, immer wieder Dinge zu tun, die ich nicht möchte.« Erzog mein Gesicht nah an seines, während ich seine Augen in flammendes Blau übergehen sah. Diesmal war der Ruck heftiger, was mir fast ein bisschen Angst einjagte.
»Hätte ich die Ardeur gebührend sättigen können, wäre das nicht nötig gewesen. Hätte ich mich durch meinen menschlichen Diener sättigen können, wäre es auch nicht nötig gewesen. Aber du und Richard, ihr engt mich mit euren Regeln ein, schwächt mich mit euren moralischen Ansprüchen und zwingt mich zu Dingen, die ich mir geschworen hatte, niemals zu tun. Ich war selbst einmal im Sarg eingesperrt und musste meinem Meister als Nahrung dienen, und es war das Schlimmste, ich je erdulden musste. Aber weil ihr eure moralischen Grundsätze habt und euch die Finger nicht schmutzig machen wollt, muss ich nach jedem Strohhalm greifen, obwohl ich so niemals machen wollte.«
Er ließ mich so abrupt los, dass ich nach hinten kippte und mir den Ellbogen am Steinboden stieß. Jean-Claude stand über mir, so zornig wie noch nie, und ich hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Ich sagte nur: »Das habe ich nicht gewusst.«
»Diese Entschuldigung wird allmählich langweilig, ma petite.« Er trat an den Sarg und blickte hinein. »Ich habe ihr meinen Schutz gewährt, und das hier ist das Gegenteil von Schutz.« Er drehte sich um und sah mich zornig an. »Ich tue, was ich tun muss, ma petite, und ziehe daraus kein Vergnügen. Und ich bin dieser Zwänge überdrüssig. Wenn du mir wenigstens auf halbem Weg entgegen kämmst, könnten wir viel Leid vermeiden.« ,
Ich setzte mich auf und widerstand dem Drang, mir den Ellbogen zu reiben. »Willst du von mir hören, dass es mir leid tut? Das tut es. Willst du die Erlaubnis, dich an mir zu sättigen? Willst du das?«
»Die Ardeur sättigen, ja«, sagte er. »Aber tatsächlich wäre schon viel gewonnen, wenn du geneigt wärst, die Zeichen zu öffnen und zu verbinden.«
Er streckte den Arm nach Jason aus, und dies war eines der wenigen Male, dass ich Jason zögern sah, bevor er Jean-Claudes Hand nahm. Jean-Claude blickte ihn nicht einmal an, als wäre sein Gehorsam so selbstverständlich wie die Schwerkraft. »Wäre sie etwas mehr bei Kräften, wäre es gefährlicher für Jason, aber sie ist sehr schwach, es wird also nicht so schlimm werden.« Das klang beruhigend, aber er sah Jason kein einziges Mal an, als er dessen Handgelenk nahm und
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