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Anita Blake 12 - Nacht der Schatten

Anita Blake 12 - Nacht der Schatten

Titel: Anita Blake 12 - Nacht der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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Früher oder später werde ich sie mir ansehen müssen, Jean-Claude. Also kann ich es auch gleich tun.«
     
    Er sah mich an, als wollte er sich mein Gesicht noch einmal einprägen. »Ich habe nicht erwartet, dass sie so ...« Er schüttelte den Kopf. »Du wirst nicht glücklich über mein Tun sein, wenn du sie erst gesehen hast.«
     
    »Du weißt doch selbst noch gar nicht, wie sie aussieht«, sagte ich. »Ja, aber Jasons Reaktion verriet so manches, was ich nicht wissen möchte.« »Was soll das heißen?« Er trat zur Seite. »Schau sie dir an, ma petite, und wenn du mir verziehen hast, komm zurück zu mir.«
     
    Ihm verziehen? Das klang nicht gut. Ich hatte gefürchtet, Gretchen könnte herausspringen und mich umbringen wollen; jetzt hatte ich mehr Angst vor ihrem Anblick, vor dem Schrecken, der mich in dem Sarg erwartete. Das Herz schlug mir im Hals, ich konnte kaum daran vorbeiatmen. Jasons Gesicht, Jean-Claudes Reue und diese völlige Stille in dem Sarg - mein Mund war plötzlich staubtrocken.
     
    Jason trat zur Seite, drehte sich um und lehnte sich mit hilflos verschränkten Armen gegen den Sockel. Er sah blass und elend aus. Ich fragte mich, ob er sich jetzt von Gretchen noch anfassen lassen wollte.
     
    Ich blieb an einer Stelle stehen, wo ich noch nicht hineinsehen konnte. Ich wollte nichts sehen, was so schrecklich war, dass Jason die Farbe verlor. Ich wollte nicht, aber ich musste.
     
    Ich trat an den Sarg heran wie ans Schlagmal, wenn man weiß, dass der Ball hundertsechzig drauf hat und man mit dem Schläger nicht mal mehr ausholen kann. Zuerst kapierte ich überhaupt nicht, was ich sah. Mein Verstand streikte. Das ist eine Schutzfunktion, die wir alle haben. Wenn etwas zu entsetzlich ist, sagt das Gehirn manchmal: Nö, will ich nicht sehen, will ich nicht abspeichern, weil es uns zu sehr verstören würde. Aber wenn man lange genug hinstarrt, sagt das Gehirn: na gut, und schließlich erkennt man es, und wenn man es einmal erkannt hat, ist man nicht mehr imstande, es zu vergessen.
     
    Sie lag auf weißer Seide, sodass sich die vertrocknete braune Haut krass abhob. Sie sah aus wie eine Mumie, die ab und zu irgendwo in der Wüste gefunden werden, wo die extreme Trockenheit die Toten auf natürliche Weise mumifiziert. Dic braune Haut war bis auf die Knochen zurückgewichen, dic Muskulatur verschwunden. Sie war nur noch Haut und Knochen. Der Mund war weit geöffnet, als wäre das Kiefergelenk gebrochen, die Zähne weiß wie ein ausgebleichter Schädel. Das ganze Gesicht war auf die Schädelstruktur zusammengeschrumpft. Büschel hellblonder Haare hafteten an der Kopfhaut, und die helle Farbe machte den Anblick umso schlimmer, irgendwie obszön. Die Augen öffneten sich. Ich fuhr zusammen. Sie waren genauso verschrumpelt wie der restliche Körper. Sie blinzelten einmal langsam, und aus dem Mund drang ein Klang wie säuselnder Wind.
     
    Ich wich von dem Sarg zurück und knickte in den Knien ein. Jason fasste mich am Arm. Sowie er mich auf die Füße gezogen hatte, schüttelte ich seine Hand ab und stürmte auf Jean-Claude los. Er stand da mit geduldiger, ansonsten ausdrucksloser Miene. Ich schlug nach ihm, ohne das geringste Zögern. Vielleicht hatte er erwartet, ich würde mich wütend vor ihm aufbauen. Stattdessen schlug ich ihm mit Anlauf die Faust ins Gesicht, drehte den ganzen Körper in den Hieb, und Jean-Claude lag plötzlich mit blutigem Gesicht am Boden und blickte mich von dort an.
     

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    « D u Scheißkerl, du hast von ihrer Energie gezehrt, während sie da drin lag.« Ich musste von ihm weggehen, sonst hätte ich ihn getreten. Manche Dinge tut man einfach nicht; manche Grenzen darf man nicht überschreiten.
     
    Er fasste sich mit dem Handrücken an den Mund. »Und wenn ich nun gar nichts dafürkann, was dann?«
     
    »Was dann?« Ich kam zurück und beugte mich über ihn. »Was dann? Willst du mir wirklich weismachen, dass du dich nicht von ihr ernährt hast?« Dabei deutete ich auf den Sarg und muss wohl auch dorthin geblickt haben, denn ich sah die Bewegung nicht kommen. Plötzlich hatte er mich bei den Beinen gepackt, und ich stürzte. Ich fing mich mit den Armen ab wie beim Judo. Das verringerte den Aufprall auf den harten Steinplatten und verhinderte, dass ich mit dem Kopf aufschlug, aber abgelenkt war ich trotzdem. Sowie ich am Boden aufkam, lag Jean-Claude der Länge nach auf mir und drückte mir dic Arme an den Boden.
     
    »Runter von mir.« »Non, ma petite, erst wenn du mich

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