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Anita Blake 12 - Nacht der Schatten

Anita Blake 12 - Nacht der Schatten

Titel: Anita Blake 12 - Nacht der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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tief, aber man sank nicht ein, man balancierte darauf wie ein Heiliger auf dem Wasser.
     
    Der schmale Schacht öffnete sich zu einer kleinen Höhle. Richard musste sich bücken. Ich konnte aufrecht gehen, wenn ich mich vorsichtig bewegte, aber meine Haare streiften manchmal die Decke, sodass es keine schlechte Idee war, ein bisschen den Kopf einzuziehen.
     
    Micah rief von weit, weit oben: »Kommt ihr klar?« Ich brauchte zwei Anläufe, ehe ich antworten konnte. »Ja, alles in Ordnung.«
     
    Micah zog sich von der Öffnung zurück, ein schwarzer Fleck, der sich vor einer grauen Dunkelheit bewegte. »Meine Güte, wie tief sind wir hier?«
     
    »Knapp zwanzig Meter«, meinte Richard, aber mit einem Beiklang, dass ich mich zu ihm umdrehte.
     
    Er blickte kopfschüttelnd zur Seite, wo er mit der Taschenlampe hin leuchtete. Dort lag Gregory.
     
    Erlag auf dem Bauch, hinter dem Rücken an Hand- und Fußgelenken zusammengebunden wie Schlachtvieh. Arme und Beine in so unnatürlicher Haltung, dass ich mir nicht vorstellen konnte, drei Tage lang so zu liegen. Er war nackt. Sie hatten ihm die Augen mit einem weißen Tuch verbunden und am Hinterkopf zusammengeknotet. Es sah aus, als hätten sie ihm auch dabei wehtun wollen. Als der Lichtkegel über ihn glitt, gab er kleine hilflose Laute von sich. Er konnte das Licht durch das Tuch sehen. Ich kniete mich neben ihn und sah mir an, wie ihm die Silberketten in die Haut schnitten. Die Stellen waren wund gescheuert und blutig, weil er daran gezerrt hatte.
     
    »Die Ketten haben ihm die Haut aufgerieben«, sagte Richard leise. »Er hat versucht sich zu befreien«, überlegte ich.
     
    »Nein, er hat nicht die Kräfte, so viel Silber direkt auf der Haut zu ertragen. Die Ketten haben sich von selbst hineingefressen.«
     
    Ich starrte auf die Wunden und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich berührte Gregory an der Schulter, und er schrie durch den Knebel, den ich noch nicht bemerkt hatte. Er war unter Haarsträhnen verborgen, ein dunkler Tuchbausch, der ihm in den Mund gestopft worden war. Gregory schrie erneut und wand sich, um mir auszuweichen.
     
    »Gregory, Gregory, ich bin's, Anita.« Ich fasste ihn so sacht an, wie ich konnte, und er schrie trotzdem. Ich sah zu Richard auf. »Er scheint mich nicht zu hören.«
     
    Richard kniete sich hin und fasste ihm in die Haare. Gregory wand sich heftiger. Richard gab mir die Taschenlampe, damit er eine Hand frei hatte und seinen Kopf stillhalten konnte, während er die Haare beiseiteschob. Da sahen wir, dass sie ihm auch die Ohren verstopft hatten. Richard zog an dem Stoff und fand tiefer im Gehörgang einen schwarzen Stöpsel, der auf keinen Fall so tief hineingesteckt werden durfte. Als er ihn herauszog, lief frisches Blut aus dem Ohr.
     
    Ich starrte nur darauf. Mein Verstand stand für eine Sekunde still und wollte nicht verstehen. Doch schließlich hörte ich mich sagen: »Sie haben ihm das Trommelfell durchstoßen. Warum, um Himmels willen? Waren die Augenbinde und der Knebel nicht schon genug Wahrnehmungsentzug?«
     
    Richard hielt den Ohrstopfen ins Licht. Ich musste die Lampe darauf richten, um zu erkennen, dass er eine Metallspitze hatte.
     
    »Was ist das?« »Silber«, sagte er. »Mein Gott, diese Dinger werden eigens dafür gemacht?«
     
    »Erinnere dich: Marcus war Arzt. Er kannte alle möglichen Hersteller von Medizinprodukten. Auch welche, die Sonderanfertigungen machen.« Sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er in Erinnerungen vertieft war, vor allem in finstere.
     
    Ich sah wieder zu den wunden Hand- und Fußgelenken. »Dann hat ihm das Silber den Gehörgang genauso zerfressen ?«
     
    »Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist es gut, dass es noch blutet. Das heißt, wenn er bald die Gestalt wechselt, wird es wahrscheinlich noch heilen.« Richards Stimme war belegt.
     
    Mir war zum Heulen zumute, aber mein Entsetzen war zu groß für Tränen. Ich wollte Jacob hier unten liegen haben, und jeden, der mitgemacht hatte, denn ohne Hilfe konnte man das mit keinem Gestaltwandler machen.
     
    Richard wollte Gregory die Augenbinde vom Kopf ziehen, aber es ging nicht, sie saß zu straff. Er bekam sie gar nicht zu fassen. Ich reichte ihm die Taschenlampe und zog das Messer aus meiner Unterarmscheide. »Halte ihn fest, das Messer ist scharf. Ich will ihn nicht schneiden.«
     
    Richard nahm Gregorys Kopf zwischen beide Hände, fest wie ein Schraubstock. Gregory wehrte sich mit aller Kraft und schrie durch den Knebel.

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