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Anita Blake 12 - Nacht der Schatten

Anita Blake 12 - Nacht der Schatten

Titel: Anita Blake 12 - Nacht der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurell K. Hamilton
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so stark war, dass ich sie von der Realität nicht unterscheiden konnte. Doch als ich wieder klar sah, war er unverletzt und kroch von mir und der Erinnerung weg. Das war eine von Rainas Gaben: durch Erinnerungsbilder Entsetzen zu erzeugen.
     
    Ich spürte noch immer das Fleisch im Mund, schmeckte das Blut und andere Säfte. Ich kroch zum Geländer, zog mich daran hoch und erbrach alles, was ich den Tag über gegessen hatte.
     
    Jemand kam von hinten auf mich zu, und ich streckte, den Kopf über das Geländer gebeugt, abwehrend den Arm aus. »Fass mich nicht an.«
     
    »Anita, ich bin's, Merle. Nathaniel sagt, dass dich keiner anfassen darf, der mit der alten Lupa ... eine Erinnerung teilt. Ich kannte sie nicht. Sie kann dir durch mich nichts tun.«
     
    Ich stützte den Kopf in beide Hände. Mir war, als würde es mich zerreißen. »Er hat recht.«
     
    Er fasste mich an den Schultern, und die Berührung war genauso behutsam wie seine Wortwahl. Ich richtete mich auf. Die Welt verschwamm mir vor den Augen. Merle fing mich auf und hielt mich im Arm. »Es ist nichts passiert«, sagte er beruhigend.
     
    »Ich schmecke noch immer Fleisch und Blut und ... oh Gott! Oh Gott!« Ich schrie es heraus, und es half nicht. Nicht dabei. Merle drückte mich an seine Brust, klemmte meine Arme an den Seiten fest, als müsste er verhindern, dass ich mir etwas antue. Ich glaubte nicht, dass ich das vorhatte, aber ich kannte mich nicht mehr aus. Monatelange Übungen, und trotzdem konnte Raina das mit mir machen.
     
    Ich stieß immer neue, wortlose Schreie aus, als könnte ich zugleich die Erinnerung ausstoßen. Jedes Mal, wenn ich Luft holte, hörte ich Merle flüstern: »Alles ist gut, Anita, alles ist gut.«
     
    Aber es war nicht gut. Was Raina mir gerade gezeigt hatte, würde niemals gut sein. Merle trug mich ins Badezimmer, und ich wehrte mich nicht. Caleb machte einen Waschlappen nass und legte ihn mir auf die Stirn ohne eine spöttische Bemerkung. Ein kleines Wunder, aber nicht das Wunder, das wir brauchten.
     

31
     
    Raina war weg, war lachend abgehauen, zufrieden mit sich selbst. Wie ich diese Frau hasste. Ich hatte sie ja schon getötet; es war nicht so, dass ich ihr noch etwas antun konnte, aber trotzdem wollte ich gern. Ich wollte sie verletzen, wie sie viele andere verletzt hatte. Leider war es dafür ein bisschen zu spät.
     
    Dr. Lillian leuchtete mir mit einer kleinen Stablampe in die Augen und bat mich, ihrem Finger zu folgen. Offenbar machte ich das nicht gut genug. »Sie haben einen Schock, Anita, und Gregory ebenfalls. Er war schon nicht ganz stabil, bevor Sie angefangen haben, aber jetzt ... «
     
    Ich riss die Augen auf und gab mir Mühe, sie scharf zu sehen. Ich konnte nichts genau ins Auge fassen. Es war, als ob die Welt zitterte, aber das war Unsinn. Vielleicht war ich es, die zitterte? Ich wusste es nicht. Ich hielt die Decke fest, die sie mir umgehängt hatten, kauerte auf meiner weißen Couch zwischen bunten Kissen und wurde nicht warm. »Was wollen Sie damit sagen, Doc?«
     
    »Dass Gregorys Chancen jetzt schlechter stehen als fünfzig zu fünfzig.«
     
    Ich versuchte angestrengt, sie anzusehen und nachzudenken. »Wie schlecht?«
     
    »Siebzig zu dreißig vielleicht. Er liegt in eine Decke gewickelt auf der Terrasse und zittert noch heftiger als Sie.«
     
    Ich schüttelte den Kopf und konnte gar nicht mehr aufhören. Ich machte die Augen zu, zwang mich, für eine Sekunde stillzuhalten. Mit geschlossenen Augen sagte ich: »Wie hat er das überlebt ... was sie ihm angetan hat?«
     
    »Außer dem Kopf wächst uns jedes Körperteil nach, sofern man die Wunde nicht mit heuer ausbrennt. Bei Verbrennungen findet keine Selbstheilung statt, es sei denn das verbrannte Gewebe wird vollständig entfernt, das heißt man muss eine neue frische Wunde erzeugen.« Sie klang bitter und wütend. Ich hatte sie noch nie so wütend erlebt.
     
    Ich sah sie an. »Was haben Sie?«
     
    Lillian senkte den Blick. »Ich hatte damals Bereitschaft. Ich habe den wirklichen Anblick gesehen, nicht nur die Erinnerung.«
     
    Ich schüttelte den Kopf und musste das Kinn auf die Knie drücken, um das Zittern zu unterdrücken. »Mit dem Munin in mir ist das keine Erinnerung, Doc, es ist Wirklichkeit. Es ist wie ... ein Realfilm, aber mit mir in der Hauptrolle.« Ich schlang die Arme um die Knie und versuchte verzweifelt, nicht daran zu denken, nicht wachzurufen, was ich erlebt hatte. Ich hatte tatsächlich Glück, dass mein Kopf

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