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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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oder wieder eine Intrige am Hals?«
    »Nein, es ist der neue Fall. Ich habe ein großes Problem damit.«
    »Ein Problem? Sie haben doch bisher alle Probleme immer perfekt für Mandant und Kanzlei gelöst.«
    »Das ist es nicht.« Ich tat mich schwer auszusprechen, was ich fühlte.
    »Aber wir haben doch sämtliche Literatur in der Kanzlei, da lässt sich doch das Problem sicher schnell lösen. Oder müssen wir noch was Neues kaufen?« Der Chef schmunzelte. War er
tatsächlich der Auffassung, ich saß mit geröteten Augen vor ihm, weil ich so traurig war, nicht alle Fachzeitschriften in der vorbildlichen Kanzleibibliothek zu finden?
    »Nein, auch das ist es nicht. Es liegt an dem Fall. Ich möchte und kann ihn nicht übernehmen. In Zukunft möchte ich solche Fälle nicht mehr. Und auch das Geld aus solchen Fällen interessiert mich nicht mehr. Ich wollte Ihnen das nur sagen, wegen unserer Honorarvereinbarung.«
    Das Wort Honorarvereinbarung ließ ihn augenblicklich aufhorchen. Er setzte sich aufrecht hin, alle Lässigkeit war verflogen. Der Chef hatte mit allen seinen Anwälten heimliche Gebührenvereinbarungen, die ihm einen zweistelligen Prozentsatz des Honorars zusprachen. Als Gegenleistung für die Vermittlung des Falls oder auch einfach nur, weil er der Chef war. Warum genau es diese Vereinbarung gab, konnte niemand mehr genau sagen, es gab sie einfach. Und sie wurde anerkannt und auch erfüllt. Zusätzlich kassierte er auch noch einen Mietanteil. Kollegen anderer Kanzleien berichteten ebenfalls von solchen Vereinbarungen. Es war also irgendwie normal. Deshalb nahm auch keiner wirklich daran Anstoß.
    Das väterliche Lächeln war aus der Miene des Chefs gewichen, war ich doch umsatztechnisch eines seiner besten Pferde im Stall. Meine Strafrechtshonorare waren frei von den Zwängen der Gebührenordnung für Rechtsanwälte mit Mandanten in einer Notsituation ausgehandelt. Da achtet man nicht mehr darauf, »wieviel Anwalt« man an anderer Stelle für sein Geld bekommt, sondern nur noch darauf, wie schnell man seine Probleme vom Hals hat. Das war für alle ein gutes Geschäft. Der solvente Mandant war auf dem Weg in die Freiheit oder zumindest in eine niedrigere Strafe und sparte Geld. Der Anwalt verdiente auch mehr und der Chef hatte seine Prozente. Und genau die sah er jetzt in Gefahr.

    »Wie soll ich das verstehen? Sie wollen nicht mehr. Was wollen Sie denn dann?«
    Ich erklärte meine Bedenken und auch meine Ideale. Insgeheim hoffte ich wohl, dass auch der Chef das begreifen konnte und ein Einsehen hatte. Aber ich irrte mich gewaltig. Sein Gesicht sprach Bände. Er saß vor mir wie ein Raubtier, das zum Sprung ansetzen wollte. Doch dann wären die Prozente sicher verloren gewesen. So versuchte er, seine Gesichtszüge zu entspannen und die Mundwinkel hoben sich zu einem aufgesetzten Lächeln. Wenn er sich selbst gesehen hätte, wäre er mit mir einer Meinung gewesen: Das war das am schlechtesten gespielte freundliche Gesicht, das man aufsetzen kann.
    »Nun, vielleicht haben Sie ein bisschen viel gearbeitet in letzter Zeit. Jetzt gehen Sie am besten nach Hause, legen sich schlafen und morgen sieht die Welt gleich ganz anders aus.« Der Chef griff ohne weitere Regung in seiner Gesichtsmaske wieder nach seiner Fachzeitschrift und las weiter. Mich beachtete er nicht mehr.
    Ich stand auf, ging zurück in mein Büro und machte das Licht aus. Dann ging ich tatsächlich nach Hause. Nicht um nachzudenken, ob es richtig war, was ich dem Chef gesagt hatte. Dazu war ich mir zu sicher. Was aber würde passieren, wenn ich meine Umsätze und damit mein Einkommen nicht mehr haben würde? Wie sollte ich Miete, Strom, Essen bezahlen? Der Gedanke machte mir Angst. Eine echte Lösung enthielten meine Gedankenspiele nicht. Jedenfalls nicht an diesem Abend.

    Am nächsten Tag erschien ich wieder wie gewohnt in der Kanzlei. Ich ging in mein Büro und schaltete meinen Computer ein.
    Noch bevor er vollständig hochgefahren war, steckte die Sekretärin den Kopf durch die Tür. »Sie sollen bitte sofort mal zum Chef kommen.«

    Als ich in sein Büro trat, stand der Chef hinter seinem Schreibtisch und blickte aus dem direkt dahinterliegenden Fenster auf den Prachtboulevard darunter. Dabei wandte er mir den Rücken zu. »Machen Sie doch bitte mal die Tür zu.«
    Kein Wort der Begrüßung brachte er über die Lippen. »Haben Sie sich wieder beruhigt oder möchten Sie ein paar Tage frei?«, kam er ohne weitere Umschweife direkt auf unser

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