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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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ausschalten. Ich wollte den Menschen helfen und nicht eingeschaltet werden. Anwälte werden zu allen Gelegenheiten, bevorzugt auf Partys, nach irgendeiner Rechtslage, irgendeiner Reaktionsmöglichkeit oder irgendeiner Lösungsmöglichkeit einer zwischenmenschlichen Auseinandersetzung befragt. Davon hatte ich die Nase gestrichen voll.

31
    Als das Telefon klingelte und ein neuer Fall angekündigt wurde, wusste ich nicht, dass nun das Ende meines bisherigen Anwaltslebens bevorstand. Es war natürlich wieder Strafrecht. Und es war wieder ein schmutziger Fall.
    Nachdem ich die nötigen Daten aufgenommen hatte, las ich mich schnell in die herrschende Rechtsprechung ein, die den neuen Fall betraf. Es ging erneut um einen Rotlichtfall. Anfangs klang alles noch relativ harmlos. Ein ganz normaler Fall von Menschenhandel eben, dachte ich grimmig. Aber genau das war es nicht. Nachdem mir die Sekretärin einen Besuchsschein in die Hand gedrückt hatte, nahm ich meine Arbeitstasche, zog meinen Mantel an und fuhr zum neuen Mandanten. Nach den üblichen Formalien in der Haftanstalt traf ich ihn in einer der Besuchszellen. Vor mir saß ein blasser, weitgehend tätowierter, ungepflegter Mann, dessen Mundgeruch kaum zu ertragen war. Sein Gesicht war umrahmt von einem ungepflegten Vollbart, dessen Haare sich wild kräuselten. Rund um den Mund konnte man noch die Essensreste der letzten Tage erkennen. Noch nie zuvor hatte ich einen so abstoßenden Menschen gesehen. Ich begrüßte ihn und legte ihm routiniert meine Visitenkarte hin. Mit seinen dürren Fingern hob er sie von der Tischplatte auf und betrachtete sie aufmerksam. Ich hatte plötzlich ein sehr flaues Gefühl im Magen und dabei hatte ich noch nichts Genaues von den Tatvorwürfen erfahren. Ich legte ihm die Vollmacht vor, die er ohne zu zögern unterschrieb. Nun war ich sein Anwalt. Wieder einmal fiel mir die Aufgabe zu, eine »ehrenwerte Person« der Gesellschaft zu vertreten, auch wenn ich sie persönlich in die unterste Ritze der Erde gewünscht hätte. Mir schossen die jetzt arbeitslosen Mitarbeiter des insolventen Betriebs durch
den Kopf und auch die Ungerechtigkeit, die diese zu ertragen hatten.
    »Und was können Sie für mich tun?«, fragte der neue Mandant fordernd.
    »Nun, ich werde erst einmal einen Blick in die Akte der Staatsanwaltschaft werfen und danach eine Haftbeschwerde einlegen. Das alles mit dem Ziel, Sie so bald wie möglich aus dem Knast herauszuholen.«
    Er nickte. »Wie lange dauert das?«
    »Drei bis vier Tage«
    »Beeilen Sie sich, ich habe keine Lust hier zu sein und dafür bezahle ich Sie.« Er deutete zum Ausgang. Mit einer Kopfbewegung gab er mir zu verstehen, dass ich endlich loslegen sollte. Der Tonfall und das herrische Verhalten gefielen mir nicht. Trotzdem kam mir die Aufforderung, das Gespräch zu beenden, sehr gelegen, denn ich wollte aus der Enge der inzwischen unerträglich stinkenden Zelle.
    Ich stand auf und verabschiedete mich ohne Handschlag. Nachdem der neue Mandant wieder im Hafttrakt verschwunden war, ging ich zurück in die Kanzlei.
    Drei Stunden später las ich in der Akte oder zumindest in dem Teil der Ermittlungsakte, den man als Verteidiger bekam. Dort stand schwarz auf weiß, was meinem Mandanten vorgeworfen wurde. Er hatte Partys veranstaltet, auf denen in vielen Separees ein sehr freizügiges Treiben stattgefunden hatte. Dem Inhaftierten genügte das offensichtlich nicht: Ihm passierte viel zu wenig, er wollte mehr. Aus seiner Sicht durfte auf seinen Partys nicht nur das geschehen, was auf allen anderen derartigen Partys eben auch geschah, denn er wollte seinen Besuchern etwas Besonderes bieten und sich so einen Namen als Partyveranstalter machen. Er kam also auf die Idee, Frauen dafür zu bezahlen, dass sie als vermeintliche Gäste auftraten und gegen Geld ein bestimmtes Repertoire an Sexspielarten abspulten.

    Als er das in die Wege geleitete hatte, schien ihm auch das noch zu wenig. Das Problem an der Sache war, dass die Frauen irgendwann nicht mehr das tun wollten, was er von ihnen verlangte: An eine Art Gitter sollten sie angekettet werden, sodass sie sich nicht mehr bewegen konnten. So konnten die Partygäste mit den Frauen machen, wonach ihnen der Sinn stand. So weit wollte keine gehen, aber das nahm der Mandant nicht hin. Und so schlug er die Frauen, bedrohte sie mit Waffen und verging sich an ihnen. Jeder einzelnen von ihnen drohte er mit massiven körperlichen Konsequenzen für den Fall, dass etwas über seine

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