Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
Vom Netzwerk:
gestriges Gespräch zurück.
    »Ich fürchte, es hat sich über Nacht nichts geändert. Ich habe noch immer dieselbe Meinung.«
    Der Chef knurrte. »Das gefällt mir aber gar nicht. Das ist Ihnen schon klar.« Er blickte noch immer aus dem Fenster.
    »Ich kann es nicht ändern. Aber vielleicht könnte ich einfach mit einem der Kollegen das Referat tauschen«, so nannten sich die unterschiedlichen Fachabteilungen in der Kanzlei, »das wär doch eine Lösung.«
    Der Chef drehte sich wie von der Tarantel gestochen um. Ich sah in eine finstere Miene. Aber er schwieg und wandte sich wieder zum Fenster. »Ich gebe Ihnen den guten Rat, überlegen Sie sich das alles noch mal. Ein Referatstausch kommt jedenfalls nicht infrage. Bis Sie sich in das neue Referat eingearbeitet haben und der Kollege in Ihres, das dauert zu lange und kostet damit zu viel Geld. Außerdem möchte ich Sie als Strafrechtler und als nichts anderes. Nehmen Sie sich lieber frei. Wir sprechen nächste Woche weiter.«
    Es war klar: Der Chef wollte keine Umsatzeinbrüche hinnehmen, trafen sie doch über die Honorarvereinbarung auch unmittelbar seinen Geldbeutel.
    »Gut, dann komme ich nächste Woche wieder, am Mittwoch. Ist das in Ordnung?«
    Ein stummes Nicken signalisierte mir Zustimmung. Er starrte noch immer aus dem Fenster. Ich ging. Für heute. Das dachten alle zu diesem Zeitpunkt.

32
    Die folgenden Tage vergingen wie im Flug. Das ist immer so, wenn man mit etwas sehr intensiv beschäftigt ist. Und ich war beileibe intensiv beschäftigt: mit meiner Zukunft sowie den Risiken und den Chancen, die in dieser Zukunft auf mich warten könnten. Es war nichts weniger als mein Lebensweg, den ich überdachte. Bin ich tatsächlich zu jemandem geworden, der sich einfach kaufen lässt? Nun, kaufen lassen wir uns alle irgendwie, aber diese Art des Kaufens meinte ich gar nicht. Es war die Frage, ob es ausreicht, etwas nur deswegen zu tun, weil man Geld dafür bekommt, oder ob man auch die Herkunft des Geldes bewertet. Außerdem stellte ich mir die Frage: Soll Geld in meinem Leben wirklich einen Stellenwert haben, der alles andere in den Schatten stellt? So nach dem Motto: Wer mich anständig bezahlt, dem stehe ich auch fraglos zur Verfügung. Ohne Bewertung in der Sache und egal, was er getan hat oder wie das Geld erwirtschaftet wurde? Aber auch die Frage, wer sich eine ablehnende Haltung denn überhaupt leisten konnte, war für mich wesentlich. Denn das hing doch alles zusammen. Wenn Geld schon die Macht hatte, dass es die Wertefrage übertrumpfen konnte, weil man sich diese Entscheidung eben erst finanziell leisten können muss, war von vornherein klar: Geld hatte gewonnen, denn es entschied, ob, wann und welche Werte in den finanziellen Rahmen passten. Ich erkannte, dass meine Frage eigentlich beantwortet war. Wahrhaben und akzeptieren wollte und konnte ich das nicht.
    Ich fand keinen Ausweg. Es sah nach Kapitulation aus, als ich wieder in die Kanzlei ging, um Geld zu verdienen. Es war ein Donnerstag, den ich später als »Tag eins« meines neuen Lebens bezeichnen würde, der erste Tag nach meiner Rückkehr aus
dem verordneten Zwangsurlaub, ein sonniger, ungewöhnlich milder Februartag.
    In der Kanzlei wartete die in meiner Abwesenheit liegengebliebene Arbeit schon auf meinem Schreibtisch. Ich hatte sogar das Gefühl, die ungeduldigen Mandanten aus den Akten bereits auf dem Weg in die Kanzlei spüren zu können. Ich sah sie in meinen Gedanken unruhig hin und her laufen und nervös auf das Telefon starren. »Warum ruft dieser Anwalt nicht an? Ich habe bezahlt, da habe ich einen Anspruch auf mindestens einen Anruf. Ich habe bezahlt, das ist mein gutes Recht.« Ich spielte diese Vorstellung in allen Facetten durch, am Ende war ich sogar etwas erheitert darüber. In meinem Büro angekommen, hängte ich meinen Mantel an die Garderobe. Aus Gewohnheit hatte ich zuvor bereits den Computer eingeschaltet. Die eingehenden E-Mails verursachten eine lustige Geräuschkulisse; für jede E-Mail ein »Bing«, und das in unregelmäßigen Abständen.
    Noch während des E-Mail-Bing-Gewitters kam die Sekretärin und wedelte mit einem Telefonzettel. »Ein neues Mandat. Arbeitsrecht. Wollte aber unbedingt zu Ihnen. Ich habe gesagt, Sie rufen zurück.«
    Weil ich ihr offensichtlich nicht schnell genug nach dem Zettel griff, warf sie ihn auf meinen Schreibtisch. Dann verschwand sie so schnell wie sie erschienen war.
    Da ich auf die ganzen E-Mails keine Lust hatte, rief ich die Nummer auf

Weitere Kostenlose Bücher