Anklage
dies als gutes Zeichen: Offensichtlich gab es eine so große Nachfrage nach den Produkten, die sie herstellten, dass zusätzliche Werke geschaffen werden mussten. Dass sie sich in einem globalen Wettbewerb um Kosten befanden, daran hatten sie nicht gedacht. Bis heute jedenfalls.
Zurück am Klägertisch, änderte ich die Klagen auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ab, denn er war nun der entscheidende Mann. Dann war die Verhandlung auch schon zu Ende,
der Rest war im schriftlichen Austausch zu klären. Der Trauermarsch setzte sich in Bewegung und strebte direkt dem Ausgang zu.
Fünf Wochen später erreichte die Kanzlei die Mitteilung des vorläufigen Insolvenzverwalters, dass er es bedauere, aber die Zahlen hätten nur die Stilllegung des Betriebs zugelassen. Die Folge war, dass alle Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verloren haben. Ich hielt es für angebracht, dies den betroffenen Menschen persönlich zu sagen. Zu der einberufenen Betriebsversammlung, die eigentlich besser Exbetriebsversammlung geheißen hätte, kamen dann leider nicht mehr alle. Die Anwesenden nahmen die Botschaft gelassen auf, es war ja nach der Verhandlung auch keine wirkliche Überraschung mehr. Ich war niedergeschlagen, denn das Ergebnis gefiel mir gar nicht. Ohne irgendetwas von meinem Verdacht beweisen zu können, kam mir die ganze Sache abgekartet vor. Leider war nichts dagegen zu unternehmen, es war ja schließlich nur ein Gefühl, beweisbar war davon nichts. Und nur die beweisbare Gerechtigkeit ist gerichtstauglich. Mit einem tiefen Stachel im Fleisch legte ich die Akte ab.
In der Kanzlei herrschte Normalbetrieb. Hektische Anwälte und fleißige Sekretärinnen mischten sich zu genau jenem Bild, das sich normale Menschen von einer Kanzlei machen. In Wirklichkeit aber war es in unserer Kanzlei so, dass die Geschäftigkeit im Wesentlichen aufgesetzt und kalkuliert war. So konnte man sowohl als Anwalt als auch als Sekretärin seine Wichtigkeit für das Ganze zeigen und seine persönliche Position sichern. Schließlich wollte man bei der Vergabe der neuen Fälle ganz vorn mit dabei sein.
Normalerweise sah der Ablauf so aus: Entweder es kam ein Anruf eines neuen Mandanten, dem die Kanzlei empfohlen
worden war. Der landete bei der Sekretärin, die den Fall an einen der Anwälte weitergab. Und zwar an denjenigen, der ihr am besten für den Fall geeignet schien oder auch am sympathischsten war. Schließlich wollte jede Sekretärin durch Vermittlung des besten Anwalts zum Kanzleierfolg beitragen und so ihr Gehalt sichern. Aus der Sicht einer Sekretärin ist der am meisten beschäftigte und lauteste Anwalt wohl auch der beste. Die andere Variante lief ähnlich ab: In der Kanzlei meldete sich ein Mandant und wollte unbedingt vom Chef vertreten werden. Das schien sich der Mandant auch schuldig zu sein, ging es doch nicht um irgendeinen Fall, sondern seinen eigenen. Und dieser war ja aus dem Blickwinkel des Mandanten immer der wichtigste. Da der Chef dies wusste, nahm er alle diese Fälle oft selbst an, was die Mandanten sehr schätzten. Allerdings gab er die Fälle dann intern - ohne das Wissen des Mandanten - zur Bearbeitung an einen anderen Anwalt weiter, der ihm der beste schien. Dieser Anwalt bekam dann auch einen Teil des Honorars.
So half es also immer, wenn man geschäftig und bemüht erschien, deshalb zogen alle die notwendige Show ab. Ursprünglich hatte ich dabei auch eifrig mitgemacht. Mittlerweile fand ich das lächerlich und bemühte mich bestenfalls halbherzig, den geschäftigen Anwalt zu mimen.
Ich fühlte mich nicht wohl mit meinem Job in der Kanzlei, und das war ganz allein mein Problem. Auch meine Mandanten interessierten sich natürlich nur für die Lösung ihrer Probleme und aus meinem privatem Umfeld hörte ich ausschließlich Bemerkungen, dass ich doch froh sein solle um meinen tollen Job, schließlich würden das viele gern machen und mich darum beneiden. Alle hatten nur meine Funktion im Blickpunkt und sahen nicht, dass sich hinter dem Anwalt ein Mensch verbarg. Für meine Umwelt war ich Anwalt und damit Dienstleister oder sogar eine Art Maschine, die einem im Leben helfen
konnte, wenn es eng wurde. Schließlich heißt es ja auch, man hätte in einer bestimmten Sache einen Anwalt eingeschaltet. Wie einen Lichtschalter oder eine Maschine. Als Mensch sah mich keiner. Einen Menschen konnte man nicht einschalten, denn der war immer da und somit immer eingeschaltet. Einen Anwalt konnte man scheinbar nach Belieben ein- und
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