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Anklage

Anklage

Titel: Anklage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Schollmeyer
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Methoden an die Öffentlichkeit drang. Er besuchte die Frauen, die alleinerziehend waren, auch zu Hause. Völlig unverblümt drohte er den Kindern der Frauen empfindliche Übel an, falls sie nicht gehorchten. Auf diese Weise baute er sich schließlich einen Pool an Frauen auf, die seine Partys für ein bestimmtes Klientel tatsächlich sehr interessant machten, sodass die Partys immer gut besucht waren. Eine von den Frauen konnte schließlich nicht mehr und hatte ausgepackt. Danach war alles schnell gegangen: Durchsuchung, Festnahme und Einlieferung in die Haftanstalt. Ein Strafrechtsfall, wie er eben in einer Kanzlei vorkommt. Für mich war er nicht mehr normal. Nachdem ich die Akte gelesen hatte, verspürte ich das dringende Bedürfnis, mich zu übergeben. Jetzt wäre die Haftprüfung beziehungsweise die Erstellung des Haftprüfungsantrags an der Reihe gewesen. Regungslos starrte ich auf die Akte und das daneben liegende Diktiergerät. In meinem Kopf drehte sich alles, mein Magen fühlte sich an wie nach einem Magenschwinger eines geübten Boxers. Noch nie ging es mir so schlecht. Langsam verstand ich, warum: Mein Unterbewusstsein rebellierte und blockierte meinen Körper. Ich war nur auf einen Gedanken fixiert: So einen Mandanten, der Frauen und Kinder bedroht haben soll, vertrittst du nicht. Mir wurde der Schmutz zuviel. Mein Blick fiel auf die Zulassungsurkunde als Rechtsanwalt,
die schön eingerahmt an der Wand hing. Ich erinnerte mich an meine Ideale der Studienzeit und meinen unausgesprochenen Treueschwur als Rechtsanwalt der Gerechtigkeit gegenüber. Zumindest hatte ich ihn so verstanden. Einen Kampf für Gerechtigkeit konnte ich bei diesem Mandat nicht erkennen. Es war das schlichte Vertuschen und Reinwaschen eines Verbrechers. Ich wollte das nicht mehr. Nie mehr.

    Draußen war es inzwischen dunkel geworden und die übrigen Anwälte der Kanzlei hatten die Lampen in ihren Büros angeschaltet. Ich saß weiter im Dunkeln. Schließlich schaltete ich doch meine silberne Schreibtischlampe ein und schaute mein Gesicht in der Fensterscheibe an. »Bist du das? Derjenige, der sich früher mit Professoren und überhaupt jedem angelegt hat, wenn ihm etwas ungerecht erschien? Derjenige, der aus Berufung Anwalt wurde? Oder bist du nur noch das Zerrbild dieses Anwalts? Derjenige, der zu feige und zu schwach ist, sich gegen den Druck des Geldes zu wehren? Derjenige, der den Mut und damit sich selbst verloren hat? Und nun aufgibt und sich nicht traut, sein Leben mit seinen Idealen zu leben?« Tränen, halb aus Wut, halb aus Enttäuschung über mich selbst, stiegen mir in die Augen. Schnell wischte ich sie ab, denn ich wollte meine Maske nicht aufgeben. Ich hatte lange Jahre daran gearbeitet. »Wenn du tatsächlich so geworden bist, dann hast du es verdient, unglücklich zu sein.« Das dachte ich, als ich mein Spiegelbild im Fenster sah. Es war ein Zerrbild meiner Ideale, meiner Wünsche und auch meines Herzens.
    Langsam stand ich auf und ging ins Büro des Chefs. Schließlich verkündete er ja bei jeder Gelegenheit, dass er immer ein offenes Ohr für seine Kollegen hätte. Ich musste reden, und so wählte ich den Chef als Gesprächspartner, obwohl ich hätte wissen können, dass er mein Zerrbild wollte, schließlich hatte er mich als Strafrechtler geholt. Seine Bürotür war
offen. Ich klopfte an den Türrahmen, um mich bemerkbar zu machen.
    Der Chef las in einer Fachzeitschrift, hob kurz den Kopf und lächelte mir zu. »Ah, der Herr Kollege Strafverteidiger oder besser gesagt Staranwalt. Was führt Sie zu mir?« Er nahm einen gelben, selbstklebenden Einmerker und heftete ihn sorgfältig an die Stelle, wo er mit dem Lesen aufgehört hatte. Ich stand noch immer im Türrahmen.
    Der Chef lächelte und zeigte auf einen der beiden Stühle vor seinem Schreibtisch. »Nehmen Sie doch Platz, ist doch angenehmer und man kann besser reden.«
    Ich schlich wie ein geprügelter Hund durch den Raum und setzte mich.
    «Sie sehen aus, als könnten Sie einen Drink vertragen. Whisky oder lieber was mit Wodka?« Der Chef zog eine Schublade seines edlen schwarzen Schreibtischs auf und hob zwei Flaschen in die Höhe. In der einen hatte er einen alten schottischen Whisky, in der anderen einen russischen Wodka. Ich entschied mich für einen Wodka. Der Chef goss sich etwas Whisky nach. Er hatte sich schon vorher ein Glas zur Lektüre genehmigt.
    »Was ist denn los?«, fragte er väterlich, »geht es um eine Frauengeschichte? Haben Sie Geldprobleme

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