Anlass
der Fall war. Und nur ein Mann hatte das vor mir vermutet, – nämlich Orffyreus – Johann Bessler.«
Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen. Seine Finger nestelten an der Kordel seines Schlafrocks.
»Aber«, fuhr er fort, »noch fürchtete ich mich vor dem Gedanken. Die Angelegenheit würde meinen ganzen Mannesmut erfordern. Sie war zum Erschrecken absurd. Aber der Beweis war da. Ich beschloß, die ganze Sache einem Kollegen an der Universität Rom zu unterbreiten.
Ich kannte ihn als einen glänzenden Mathematiker und Philosophen. Jetzt hat man ihn, glaube ich, auf die Strafinseln geschickt. Aber das tut nichts zur Sache. Ich bat ihn zu kommen und ein paar Tage in unserem Haus in Bologna mit uns zu verbringen. Er kam. Erst sagte ich nichts. Ich wollte eine passende Gelegenheit abwarten. Mein Hirn war wie im Fieber, und ich wollte, daß er die Tatsachen ruhig und wissenschaftlich untersuchte. Als er drei Tage bei uns war, begann ich mit ihm darüber zu sprechen. Ich erzählte ihm, auf welchem Wege ich zu meinen Schlüssen gekommen war. Ich beschrieb ihm, was ich hatte tun wollen und was schließlich dabei herausgekommen war. Er machte ein langes Gesicht. Ich sah, wie seine Augen vor Verwunderung immer größer wurden. Dann sah ich seine Angst. Und ich verstand. Ich verstand sofort. Er dachte, ich sei verrückt. Ich konnte ihm das nicht verübeln. Die Vorstellung war zu groß für einen gewöhnlichen Verstand. Sie überstieg die Vorstellungskraft.«
Er schwieg plötzlich. Mein Herz pochte stürmisch. Ich wartete. Meine letzten leisen Zweifel waren verschwunden. Ich war jetzt sicher, daß er verrückt war. Er fuhr fort:
»Ich gab ihm meine Berechnungen und ließ ihn allein, um sie durchzugehen. Ich wollte sein Urteil nicht beeinflussen. Es war ein warmer Sommertag und so wartete ich draußen im Garten. Durch das Laub der Reben betrachtete ich zwei kleine weiße Wolken, die langsam über den Nachthimmel zogen. Ich wußte, daß er mindestens drei Stunden brauchen würde, um meine Aufzeichnungen auch nur flüchtig durchzusehen. Es war wichtig, daß er sie sorgfältig überprüfte, aber das konnte er auch später noch tun. Erst sollte er sich mit den großen Umrissen begnügen. Verstehen Sie?
Und dann« – er zögerte – »und dann hörte ich ihn lachen. Es war ein lautes, häßliches Lachen. Ich konnte es nicht verstehen. Es gab ja nichts zu lachen. Das können Sie sich doch denken. Schließlich ist doch an einer Folge von mathematischen Formeln nichts Komisches. Vielleicht hatten ihn die Sprünge meiner Hunde amüsiert. Dann sah ich ihn aus dem Haus treten und auf mich zukommen. Er lachte und schwenkte mein Manuskript in der Hand. Er war nicht länger als eine Viertelstunde drinnen gewesen. Ich war erstaunt. Lachend kam er auf mich zu. Ich fragte, was los sei, und er …«
Sein Gesicht verzog sich in plötzlicher Wut.
»Er hatte Angst vor meinen Schlußfolgerungen, wie alle. Sie fürchteten für ihren Ruf, sie fürchteten, vor der Welt wie Narren dazustehen. Er behauptete, ich hätte ein paar dumme elementare Fehler gemacht wie ein Schuljunge. Er tat so, als hätte ich mir einen Spaß mit ihm machen wollen. Er griff sogar einige Berechnungen heraus und sagte lachend, ich hätte sie sehr geschickt gefälscht.
Jetzt sehe ich ein, daß ich besser gelächelt und geschwiegen hätte. Aber ich war töricht. Ich geriet in Wut und warf ihm, mit Recht, vor, er sei nur neidisch und verstoße gegen seine Ethik als Wissenschaftler. Darauf wurde er still, aber er begann bald, teuflische Andeutungen zu machen. Er sagte, ich hätte zu schwer gearbeitet. Er hatte sogar die Impertinenz, meiner Tochter zu sagen, ich hätte einen Nervenzusammenbruch. Ich durchschaute seine Absicht. Er wollte mich aus dem Wege haben und die Anerkennung für meine Arbeit für sich in Anspruch nehmen. Ich sagte ihm, er solle das Haus verlassen. Dann nahm ich meine Berechnungen und überprüfte sie von neuem. Ich wußte, daß er log, aber ich mußte sicher gehen. Bologna erstickte mich. Wir zogen hier herauf in die Berge, und ich machte mich wieder an die Arbeit. Hier fühlte ich mich besser. Ich habe fünf Jahre damit zugebracht, die Arbeit immer und immer wieder zu überprüfen, und ich weiß, sie ist fehlerlos. Bald werde ich mich der Welt stellen. Alles muß vollkommen und unanfechtbar sein, ehe ich sie zur Publikation freigebe. Meine Tochter gibt mir recht. Und ich glaube, Sie werden das auch tun,
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