Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
Vom Netzwerk:
ihre Beherrschung zurückzugewinnen. »Ich denke, die Herren sind sehr müde. Wir wollen sie jetzt allein lassen, damit sie schlafen können.«
    Er zog die Stirn in Falten. »Unsinn, Simona. Es ist erst etwas nach zehn, und ich glaube bestimmt, Signor Maurer interessiert sich dafür.« Erwartungsvoll wandte er sich zu mir.
    »Ja, natürlich, Herr Professor«, sagte ich. Ich sah Zaleshoff fast unmerklich den Kopf schütteln.
    Aber der alte Herr zog seinen Stuhl nahe zu mir. Er hatte scheinbar vergessen, daß Zaleshoff hier war. Seine Augen leuchteten. Ich mußte ihm zuhören. Ich konnte nichts anderes tun.
    Er begann schnell und aufgeregt zu sprechen. Es war, als ob er einem Lieblingsstudenten einen speziellen Lehrsatz demonstrierte.
    »Es war wirklich sehr sonderbar«, sagte er vertraulich. »Aber ich vermute, viele wissenschaftliche Wahrheiten sind durch ähnliche Zufälle gefunden worden. Bald nachdem ich meinen Lehrstuhl an der Universität aufgegeben hatte, vertrieb ich mir die Zeit mit der Erforschung eines etwas unwissenschaftlichen Gegenstandes. Ganz durch Zufall wurde meine Aufmerksamkeit darauf gelenkt. Ein Student hatte als Thema für seine Dissertation kritische Betrachtungen über die alten Theorien des Perpetuum mobile gewählt. Es war ein begabter junger Mann, und er hatte den Gegenstand mit großer Kenntnis und einer Spur von Humor, die mir gefiel, behandelt. Er hatte Stevinus, Leibniz und Newton herangezogen, um seine Argumentation zu belegen. Es war ganz ausgezeichnet. Der Gegenstand regte mich zum Nachdenken an. Und doch zog mich nicht so sehr das an, was der junge Mann geschrieben, als das, was er ausgelassen hatte. Indem er die Frage von einem rein akademischen Standpunkt aus betrachtete, schien er am eigentlichen Problem vorbeizugehen. Er hatte nur die Verworrenheit der mittelalterlichen Physik dargelegt, nichts weiter. Das genügte für seine Zwecke. Aber ich begnügte mich, wie gesagt, nicht damit. Ich fühlte, daß eine umfassende Übersicht über den Gegenstand gleichzeitig unterhaltend und lehrreich wäre. Mir schwebte eine gigantische reductio ad absurdum vor , basierend auf einer ernsthaften Berücksichtigung des Problems dauernder Bewegung. Es war so, als wenn Sie in der Terminologie Newtonscher Physik beweisen wollten, daß die Erde flach ist, und dabei die Richtigkeit der Einsteinschen Physik bestätigt fänden.«
    Er hielt inne, und seine glänzenden Augen suchten meinen Blick. »Sehen Sie, worauf ich hinaus will, Signor Maurer? Ich mußte von der Annahme ausgehen, daß ständige Bewegung möglich sei. Von dieser Hypothese ausgehend, würde ich imstande sein, ein riesiges Gebäude mathematischer Absurditäten aufzurichten. Ich wollte die Möglichkeit von Begriffen wie Verdoppelung des Würfels, Dreiteilung des Winkels und Quadratur des Zirkels beweisen. Es sollte ein intellektueller Scherz werden, eine mathematische Satire, über die jede Universität lachen würde.«
    Er zögerte, und dann erloschen seine Augen.
    »Aber der Scherz erwies sich als Bumerang«, sagte er leise.
    Er schwieg einen Augenblick. Außer dem Ticken der Uhr und dem Zischen der Scheite im Feuer war kein Laut im Zimmer. Dann seufzte er und begann wieder zu sprechen.
    »Die beste Satire hat ihre Wurzeln in der Wahrscheinlichkeit«, sagte er langsam. »Sie mag so phantastisch sein wie sie will, aber sie muß in logischer Weise phantastisch sein. Ich wußte, daß ich, wenn mein Scherz wirklich gut sein sollte, Beweise für meine Hypothesen erbringen mußte. Es konnte, so glaubte ich, kein Beweis sein, der einer schnellen und durchdringenden Intelligenz standhalten würde, aber er mußte wenigstens bei oberflächlicher Betrachtung überzeugen. Meine Kollegen in Berlin, Bonn, Oxford, Cambridge, Paris und Harvard würden etwas haben, worüber sie sich den Kopf zerbrechen konnten. Ich sah, wie sie vergnügt nach den schwachen Stellen in meinen Argumenten suchten. Der Spaß mußte groß werden. So machte ich mich an die Aufgabe, die Möglichkeit des Perpetuum mobile in allem Ernst zu beweisen. Ich begann am Anfang.«
    Er legte die Fingerspitzen seiner beiden Hände aneinander.
    »Ich sah aber bald, daß die mittelalterlichen Scharlatane nicht viel nützen konnten. Ihre Anstrengungen waren hauptsächlich darauf gerichtet, ein Rad zu konstruieren, das ohne Antrieb von außen unablässig um eine Achse rotieren würde. Die meisten dieser Räder waren nach dem Prinzip ungleicher Drehmomente konstruiert. Der Zustand der

Weitere Kostenlose Bücher