Anlass
Zeit. Ich würde am nächsten Morgen Dowsett anrufen und sehen, ob er etwas wußte. Um die Leute im Betrieb mußte man sich auch kümmern. Das war Halletts Sache, und er würde für sie tun, was er konnte. Aber für einige von ihnen würde es trotzdem verdammt hart werden. Die Mädchen würden bald in den Nachbarfabriken unterkommen. Weibliche Arbeitskräfte waren im Bezirk Barnton sehr gesucht. Auch die gelernten Arbeiter würden keine großen Schwierigkeiten haben: die Munitionsfabrik zwei Meilen weiter würde sich auf sie stürzen. Aber die anderen, die Ungelernten, die Büroangestellten und Lagerarbeiter mit ihren Frauen und Kindern, die würden es zu spüren bekommen. Ich konnte noch zufrieden sein.
Als ich ins Werk zurückkam, ging ich geradewegs zu Hallen.
»Sie wissen es natürlich schon«, sagte ich.
Er zog die Nase hoch. »Ja. Herrington wollte, daß ich es Ihnen mitteile, aber ich sagte ihm, er solle seinen Dreck selbst machen. Er ging sogar so weit, mir außerdem vorzuschlagen, daß wir uns über die Werkstillegung bis drei Tage vor Torschluß ausschweigen sollten. Der restliche Auftrag von Felstead muß noch erledigt werden, und ich glaube, er hat Angst, daß in diesem Monat die Produktionsziffern zurückgehen. Ich habe ihm gesagt, er solle sich zum Teufel scheren. Abgesehen davon, daß viele von ihnen noch etwas zurücklegen sollten, wenn sie können, wollen die Mädchen von der Geschützabteilung einen Freizeitklub organisieren. Ihr Werkmeister sagt, daß sie mich als Präsidenten haben wollen. Ich könnte mir selbst nicht mehr ins Gesicht sehen, wenn ich sie trotz allem, was ich weiß, weitermachen ließe.«
Ich nickte. »Sie haben recht. Ich habe darüber nachgedacht, während ich herunterkam. Sie und ich sind so ziemlich die einzigen, denen es bei dieser Geschichte nicht an den Kragen geht.«
Er sah mich fragend an. »Glauben Sie? Ich hoffe, Sie haben recht, Marlow. Ich für meine Person habe eine Frau, drei Kinder und Hypotheken auf dem Haus. Meiner Ansicht nach sind die einzigen, denen es, wie Sie sagen, nicht an den Kragen geht, Herrington, sein gut gepolsterter Aufsichtsrat und die lieben Aktionäre. Haben Sie die letzte Bilanz gesehen?«
»Nein.«
»Das war Balsam auf ihre Wunden. Die Mächte der Besitzenden, mein lieber Marlow, gehen dunkle und geheimnisvolle Wege. Wer sind wir schon, wir Narren, die die Arbeit tun, daß wir ihre Weisheit anzweifeln. Trotzdem, ich zweifle sie an. Aber ich bin Sozialist.«
Als ich ihn verließ, entwarf er gerade ein Rundschreiben an die Werkmeister. Erst dann fiel mir ein, daß ich für sieben Uhr mit Claire verabredet war.
Ich erzählte ihr die Neuigkeit bei der Suppe.
Sie trug einen neuen Hut – eine Tatsache, zu der ich mich schon gebührend geäußert hatte –, aber es war nicht die Art Hut, hinter dem sie sich verbergen konnte, während sie über ihre Antwort nachdachte. Nach ihrer Miene zu urteilen, wäre ihr das wohl lieber gewesen.
»Das ist schlimm, Nicky«, sagte sie. Ihre Stimme war ganz ruhig. Sie machte dann eine Pause und fügte hinzu: »Ich hoffe, es wird unsere Hochzeitspläne nicht durcheinanderbringen.«
Wir aßen in einem chinesischen Restaurant, und ich habe gehört, daß die Chinesen nicht leicht aus der Fassung zu bringen sind. Aber soweit ich mich erinnere, glotzte uns der Koch, ein Kantonese mit einer Figur wie eine Regentonne, durch die Küchentür an, als ob er seinen Augen nicht traute. Als ich endlich auf meine Seite des Tisches zurückgekehrt war, machte das ganze Restaurant Bemerkungen über uns. Einige Gäste kicherten. Wir aßen ruhig weiter.
»Und jetzt, wo das erledigt ist«, sagte Claire nach einigen Minuten, »was gedenkst du eigentlich zu tun, um mich zu ernähren?«
Ich wurde von Gewissensbissen gepackt. »Hör zu«, sagte ich mit Nachdruck, aber ohne Überzeugung. »Das ist alles verkehrt. Wir sollten jetzt nicht vom Heiraten sprechen. Die Aussichten sind im Augenblick ziemlich schlecht. Es kann Monate dauern, bis ich eine passende Stelle finde. Das ist nicht so schlimm. Die Bank wird mir eine Weile aushelfen. Aber über meine Aussichten will ich mich lieber nicht verbreiten. Was wird dein Vater sagen?«
»Er wird genau das sagen, was ich will.«
»Aber …«
»Paß auf, Nicky.« Sie schwang ihre Eßstäbchen vor meinen Augen. »Du bist fünfunddreißig, eins achtzig groß und siehst gut aus. Und was wichtiger ist: du bist ein tüchtiger Ingenieur. Hallett sagte mir das damals am Abend, als wir mit ihm
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