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Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
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Blick zu. Dann lächelte er.
    »Also hat man es mit Ihnen auch probiert? Na, ich kann’s Ihnen ja ruhig sagen. Er hat mir tatsächlich einen Job in Südamerika angeboten – für fünf Pfund die Woche. Er sagte, ich sei für den Posten in der Annonce zu alt. Bolivien und fünf Pfund wöchentlich! Das mir! Ich habe ihm gesagt, was er mit seinen fünf Pfund machen könne. Ich glaube nicht, daß er sehr entzückt davon war.«
    »Vermutlich hat dann der andere die eigentliche Stelle bekommen?«
    »Die eigentliche Stelle?« Er sah mich spöttisch an. »Es gibt keine eigentliche Stelle, lieber Freund. So macht man es, wenn man billig gute Leute haben will. Diesen Schwindel kenne ich schon. Die Preise werden gedrückt, damit man mit den Yankees konkurrieren kann. Und dann müssen sie auch noch ihren Profit machen. Vielleicht hätte ich mich trotzdem verleiten lassen. Aber glücklicherweise habe ich schon so was wie ’ne Beschäftigung. Verkaufe kleine Werkzeuge.« Er deutete auf einen Handkoffer auf dem Stuhl neben ihm. »Billige japanische Ware.«
    Ich bot ihm eine Zigarette an, und wir plauderten weiter. Nach und nach erfuhr ich etwas mehr über seine Laufbahn, und als ich seinem ruhigen, fast gleichgültigen Bericht über seine frühere Arbeit zuhörte, wurde mir klar, daß ein Mann neben mir saß, neben dessen Qualifikationen und Erfahrungen meine eigenen nur zweitklassig waren. Dieser Mann kannte seinen Beruf durch und durch. Unter diesen Bedingungen hätte keine vernünftige Direktion gezögert, ihn mir vorzuziehen. Und doch verkaufte er jetzt kleines Werkzeug. ›Billige japanische Ware‹. Als ich ihn nach dem Geschäftsgang fragte, lächelte er nur.
    Als er gegangen war, versuchte ich, meine Abendzeitung zu lesen. Herr Hitler hatte sich erneut zum Grundsatz der engsten Zusammenarbeit zwischen Rom und Berlin bekannt. Mussolini hatte wieder vom Balkon des Palazzo Venezia eine Rede gehalten. Der Präsident eines Rüstungskonzerns hatte die Gewinne des vergangenen Jahres als höchst erfreulich bezeichnet und sein Vertrauen in die Zukunft der Gesellschaft ausgedrückt. Ein in Paris lebender Kroate hatte den Leichnam seiner Geliebten mit dem Beil zerstückelt. Ein weiterer Balkanstaat war faschistisch geworden. Ein Bankier hatte die verbesserten Aussichten für Auslandskredite begrüßt. Auf der Titelseite waren zwei Bilder: eins zeigte zwei Soldaten, die auf einem neuen Panzermodell saßen und verlegen grinsten, das andere zeigte einen berühmten Staatsmann, der einem Geier ähnlich sah und in der einen Hand eine Angelrute, in der andern einen winzigen Fisch hielt. Auf Seite vier stand ein Artikel mit dem Titel: ›Sei groß und stark, Britannien …‹ von einem früheren Marineoffizier, der, wie ich zufällig wußte, auch Direktor einer Werft war.
    Ich legte die Zeitung weg, trank meinen Tee aus und griff in die Tasche nach einem Streichholz für meine Zigarette. Meine Finger fühlten ein Stück Papier. Ich zog es hervor, glättete es auf dem Tisch und las noch einmal aufmerksam die Annonce durch.

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    Ich weiß nicht, warum ich das früher angestrichen hatte. Vielleicht hatte mich das Italienisch gereizt. Nach dem Tode meiner Eltern hatte ich längere Zeit mit einem italienischen Studenten zusammengewohnt, der mir im Austauschunterricht Italienisch beibrachte. Wir hatten nämlich die Absicht, unsere Sommerferien in Italien zu verbringen und südlich von Neapel zu wandern. Es war nie etwas daraus geworden. Eine Woche vor der Abreise hatten wir uns zerstritten. Aber mein Italienisch war mir geblieben, ich hatte es gelegentlich durch einen Roman von Hachette aufgefrischt, neuerdings auch in der vagen Aussicht auf Flitterwochen in Rom.
    Ich steckte die Annonce wieder in die Tasche. Die Sache kam natürlich gar nicht in Frage. Absurd. Die gute Claire redete Unsinn.
    Aber die Tatsache, daß ich die Annonce in die Tasche steckte, statt sie wegzuwerfen, war offenbar doch bedeutungsvoll. Fast ohne daß ich es wußte, breitete sich der Keim dieses Gedankens in meinem Hirn aus. Und am Abend, als ich in meine Wohnung kam, ging die

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