Anlass
die andere Dose geöffnet.«
Die beiden frotzelten sich während des ganzen Essens. Das war offensichtlich eine Vorstellung, die man mir zu Ehren gab; aber sie war ganz amüsant, und ich fing an, mich wohlzufühlen. Das Gulasch war herrlich. Es war auch etwas Anregendes an der Gesellschaft Zaleshoffs und seiner Schwester. Zum erstenmal, seit ich England verlassen hatte, fühlte ich mich in einer freundlichen Umgebung. Schließlich, als mein Magen vom Gulasch angenehm erwärmt war, gab ich eine lustige Beschreibung meines Abends mit Vagas und seiner Frau zum besten. Den Vorschlag des Generals erwähnte ich freilich nicht, und Zaleshoff kam nicht auf unser früheres Gespräch zurück. Man hätte uns drei für ganz gewöhnliche Bekannte halten können, die sich über einen vierten unterhielten. Dann plötzlich änderte sich die Atmosphäre. Und zwar zum Schlechten.
Ich hatte mich in fröhlicher Stimmung über Ricciardo und seinen Weihrauch ausgelassen, und sie lachten. Dann erwähnte ich ganz nebenbei den Zettel, den Madame Vagas mir zugesteckt hatte, und meine Diagnose ihres Geisteszustandes.
Die Wirkung meiner Erzählung war sensationell. Im Zimmer entstand eine plötzliche Stille. Es war, als ob jemand ein sehr lautes Radio abgedreht hätte.
»Was, sagten Sie, stand auf dem Zettel?« Zaleshoffs Stimme war unnatürlich ruhig. Die Augen des Mädchens waren hartnäckig auf ihren Teller gerichtet.
»Ich habe ihn hier in der Tasche, falls Sie ihn sehen wollen. Aber warum denn? Was ist los? Sie nehmen das doch nicht ernst?«
Er blickte schweigend auf den Zettel, dann gab er ihn mit einem Achselzucken zurück.
»Nein, ich nehme es nicht ernst. Es ist die Tat einer bösartigen Frau. Ich habe nur aus einem Grund eine Bemerkung darüber gemacht.«
»Nun?«
»Der Satz ist beinahe wahr.«
Ich starrte ihn verständnislos an. »Aber Ferning wurde doch überfahren.«
»Ferning«, sagte Zaleshoff bestimmt, »wurde ermordet.«
»Um Himmels willen, wovon reden Sie?«
»Von Ferning.«
Ich stand vom Tisch auf. »Zaleshoff, das Essen war ausgezeichnet, und bis jetzt habe ich mich amüsiert. Aber ich muß offen gestehen …«
Er ließ mich nicht weiterreden.
»Setzen Sie sich, Marlow. Die Zeit ist gekommen, wo wir ein offenes Wort miteinander reden sollten.«
»Ich verstehe nicht …«
» Setzen Sie sich!« Seine Stimme wurde laut.
»Ja, Mr. Marlow«, sagte das junge Mädchen. »Setzen Sie sich. Das Essen wird Ihnen sonst schlecht bekommen. Nehmen Sie noch einen Whisky?«
»Ich will keinen Whisky, und ich will mich auch nicht setzen.« Ich zitterte vor Empörung.
»Also gut«, zischte Zaleshoff. »Bleiben Sie stehen und hören Sie mir einen Augenblick zu.«
»Ich höre.«
»Gut. Also passen Sie auf. Ich weiß nicht, ob Sie mit Scheuklappen durch die Welt gehen oder ganz einfach dumm sind. Aber meiner Meinung nach wäre es nun an der Zeit, daß sich der italienische Vertreter der Spartacus Machine Tool Company Wolverhampton ein paar Fragen stellt.«
»Und die wären?«
»Verdammt noch einmal!« explodierte er. »Sie sind jetzt zehn Tage hier. Ihr Paß ist Ihnen weggenommen worden; man verlangt von Ihnen, daß Sie sich jede Woche bei der Polizei melden wie ein Entlassener auf Ehrenwort. Kommt Ihnen das nicht ein bißchen komisch vor? Ihre Post wurde geöffnet, und Ihr Assistent Bellinetti läuft Ihnen seit Ihrer Ankunft nach. Ich weiß das, weil ich ihn beobachtet habe. Sagt Ihnen das nichts? Und noch mehr. Es wird Ihnen ein Vorschlag gemacht, der zum Himmel stinkt, von jemand, der behauptet, ein jugoslawischer General zu sein. Alles das ist Ihnen passiert, und bei mir spielen Sie den Empfindlichen.« Seine Kinnlade schoß vor wie ein Rammbock. »Bei mir, dem einzigen, der Ihnen sagen kann, was hinter alledem steckt.«
Wir starrten einander einige Sekunden an.
»Nun«, fragte ich dann, »was steckt denn dahinter?«
Er schlug die Hände zusammen. »Na, so ist’s schon besser! Jetzt trinken Sie um Gottes willen noch etwas.«
»Gut.«
»Und sagen Sie das nicht in einem Ton, als ob ich Ihnen Blausäure geben wollte.«
»Entschuldigen Sie. Aber Sie können doch nicht von mir verlangen, daß ich dieses Mordgeschwätz glauben soll.«
»Sie müssen ihn nicht so ernst nehmen«, sagte das Mädchen.
»Ruhig!« brüllte Zaleshoff. Dann wandte er sich mir zu. »Nun, Mr. Marlow«, sagte er mit übertriebener Liebenswürdigkeit, »fühlen Sie sich in der Lage, von mir ein paar Tatsachen zu hören?«
»Durchaus.«
»Dann
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