Anlass
Vertreter von Spartacus keine derartige Verpflichtung habe?«
»Wie Sie selbst andeuten, Mr. Marlow, ist Ihre Stellung in gewissem Sinne unpersönlich. Sie übernehmen keine Verantwortung für die Art der Tätigkeit Ihrer Gesellschaft. Sie gestatten mit Recht Ihren Gefühlen von Loyalität gegenüber Ihrem Land nicht, das Geschäft zu beeinträchtigen. Warum sollten Sie sich Ihrer Gesellschaft gegenüber mit einem vagen Gefühl von Loyalität belasten?«
»Meine Gesellschaft kauft meine Loyalität, indem sie mich für ihre Vertretung bezahlt.«
»Ich verstehe. Und Ihr Land bezahlt Sie nicht.« Man konnte die Ironie in seiner Stimme nicht überhören. Ich fühlte, wie ich wütend wurde.
»Ich fürchte, ich kann Ihrer Darstellung der Umstände nicht beipflichten. Ich habe nur Ihr Wort dafür, daß die Loyalität gegenüber meinem Land überhaupt etwas damit zu tun hat.«
»Zweifeln Sie an meinem Wort, Mr. Marlow?«
»Nein, aber es könnte sein, daß Sie ein wenig voreingenommen sind.«
»Ihr Vorgänger Ferning dachte nicht so.«
»Vielleicht nicht.« Ich blickte auf meine Uhr. »Ich glaube, General, ich sollte gehen. Es ist nach Mitternacht, und ich muß früh aufstehen. Danke Ihnen für den sehr angenehmen Abend.«
Er stand auf.
»Noch ein Glas Cognac, ehe Sie gehen?«
»Danke, nein.«
»Wie Sie wollen. Was diese Geschäftsangelegenheit betrifft«, er legte mir die Hand auf die Schulter, »seien Sie nicht zu übereilt in Ihrem Entschluß. Denken Sie darüber nach. Natürlich möchte ich nicht, daß Sie etwas tun, was Ihnen irgendwie unangenehm ist. Aber ich glaube, Sie werden finden, daß ich recht habe.«
Das Kerzenlicht spiegelte sich einen Augenblick in seinem Monokel. Seine Hand klopfte mir väterlich auf die Schulter. Ich hätte sie am liebsten abgeschüttelt.
»Gute Nacht, General.«
»Gute Nacht, Mr. Marlow. Sie können mich hier immer telefonisch erreichen. Sie haben meine Nummer. Ich werde mich über Ihren Anruf immer freuen, einerlei, wie Sie sich entscheiden.«
»Ich glaube, ich kann Ihnen jetzt schon versichern, daß …«
Er hob die Hand. »Bitte jetzt nicht, Mr. Marlow. Denken Sie erst darüber nach. Warten Sie ein paar Tage. Eh – Ihr Mantel ist in der Halle.«
Mit größter Erleichterung hörte ich die Tür hinter mir ins Schloß fallen. Nach der heißen, weihrauchgeschwängerten Luft im Hause des Generals war die kalte, feuchte Nachtluft eine Erfrischung. Und ich hatte genug zu bedenken, während ich ins Hotel zurückging.
Verschiedenes war mir nun klar. Fernings Wohnung zum Beispiel. Zweitausend Lire monatlich? Ungefähr zweihundertfünfzig Pfund im Jahr. Das war nicht schlecht für das bißchen Arbeit. Dafür konnte man ein ganzes Haus komfortabel möblieren. Und dann konnte ich von meinem regulären Gehalt noch etwas beiseite legen. Zusammen mit den paar Pfund, die mir nach den zwei Monaten ohne Lohn noch geblieben waren, konnte ich in England bequem leben, bis sich eine gute Stelle finden würde. Aber die ganze Sache war natürlich völlig indiskutabel. Ferning mußte ein Narr gewesen sein, daß er sich auf ein solches Spiel einließ. Vagas mochte noch so geschickt über die Notwendigkeit von Informationen, alltäglichen Vorsichtsmaßregeln und privaten Geschäftsabmachungen reden: das war alles nur ein Euphemismus für ein häßliches Wort. Das Wort war ›Spionage‹. Und Spionage war ein Verbrechen. Wurde man dabei erwischt, so landete man im Gefängnis.
Eines aber war mir nicht klar. Warum hatte Zaleshoff so sehr auf meinem Treffen mit Vagas insistiert? Nach Vagas war Zaleshoff ein sowjetischer Agent. Vagas mußte das als jugoslawischer Agent schließlich wissen. Ein Spion mußte wie ein Ingenieur die Leute seiner Branche kennen. Trotzdem, die Angelegenheit war verwirrend und nicht sehr angenehm. Spione waren Leute, von denen man manchmal in Zeitungen las. Der Gerichtssaal wurde geräumt, und die Beweisaufnahme erfolgte unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Die absurde Atmosphäre des Melodramas hing über dem ganzen Prozedere. Gelehrte Anwälte rückten ihre Perücken zurecht und diskutierten ernsthaft und ausführlich über Geheimdokumente, namenlose ›fremde Mächte‹, geheimnisvolle Treffen und unheimliche dritte Parteien, die ›seither das Land verlassen‹ hatten. Alles schien unwirklich, Teil einer anderen Welt, hatte mit dem Alltagsleben nichts gemein. Dennoch existierte diese Welt der Spione und Gegenspione. Irgendwo mußten Spione ja auch leben. Sie mußten
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