Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anlass

Anlass

Titel: Anlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler
Vom Netzwerk:
zu. Er hatte eine Lesebrille auf, wodurch er jünger aussah. Der Gedanke, daß er ein Sowjetspion sein könnte, schien mir plötzlich absurd. Sowjetspione, das waren finstere, bärtige Gestalten, die gebrochen Englisch sprachen und Schlapphüte trugen. Dieser Zaleshoff hingegen … Er sah auf, und seine glänzenden Augen trafen die meinen.
    »Die Post von heute?« fragte ich scherzhaft.
    »Nein. Die haben wir schon heute früh aufgegeben.«
    »Aha.« Ein Gedanke kam mir. »Sehen Sie jemals die Umschläge der Briefe an, die Sie bekommen?«
    Er grinste. »Um nachzusehen, ob sie aufgedämpft wurden? Meinen Sie das, Marlow?«
    »Ja, genau das wollte ich sagen.«
    »Hat man Ihre auf gedämpft?«
    »Ja.«
    »Wieso haben Sie das bemerkt?«
    Ich erzählte ihm von Claires Brief.
    »Und nun geschieht es nicht mehr?«
    »Seit dem Brief habe ich nichts mehr bemerkt.«
    Er lachte leise. »Das muß sie gestört haben.«
    »Wer ist ›sie‹?«
    Er zog eben seinen Mantel an. »Die Leute, die das Dämpfen besorgen«, sagte er ausweichend. »Wollen wir gehen?«
    »Gut.« Aber an der Tür blieb er stehen.
    »Vergessen Sie nicht etwas, Zaleshoff?«
    »Wieso?«
    »Es war die Rede von einer Karte aus Ihrer Kartothek. Referenznummer V 18, glaube ich. Erinnern Sie sich?«
    Er klopfte auf seine Brusttasche. »Hier ist sie, Marlow, an meinem Herzen.«

    Die Wohnung der Zaleshoffs lag über einem Geschäft in einer Straße nächst der Piazza San Stefano. Sie bestand aus zwei Zimmern, einer Küche und einem Badezimmer. Die beiden Zimmer waren groß, und eins davon wurde offenbar als Wohn- und Schlafzimmer benutzt. Sie schienen in großer Hast möbliert worden zu sein. Besonders das Wohnzimmer bot einen sehr merkwürdigen Anblick; das Mobiliar bestand aus einem Tannenholztisch, ein paar ganz oberflächlich mit einem blauen Baumwollbezug verkleideten Holzkisten, die auch als Tische benutzt wurden, einem luxuriösen Diwan, an dessen einem Fuß noch das Preisschild hing, und einem offenbar wertvollen eingelegten Schreibtisch mit Buchständer. Die Wände waren ziemlich nachlässig geweißt.
    »Es ist ein Wunder«, sagte Zaleshoff, »daß es nicht noch viel scheußlicher aussieht. Wir haben jeder auf eigene Faust diese Einrichtung in wenigen Stunden zusammengekauft. Den Schreibtisch habe ich von einem Burschen mit Hasenscharte erstanden. Es ist ein hübsches Stück, aber Tamara sagt, es war Geldverschwendung. Sie hat diese Kisten drapiert. Sie sollten sich auf den Diwan setzen. Den hab ich auch gekauft.« Er rief laut ›Tamara‹, dann wandte er sich mir wieder zu. »Legen Sie ab, Marlow, und bedienen Sie sich mit Zigaretten. Auf dem Bücherregal finden Sie welche. Entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Ich muß die Kocherei überwachen.«
    »Du kommst zu spät«, sagte eine Stimme.
    Etwas verwirrt von dieser Menage, drehte ich mich um. Das Mädchen stand in der Tür und nahm gerade die Schürze ab.
    »Und jetzt«, fügte sie hinzu, »kann man sich ruhig auf die Kisten setzen. Ich habe die Nägel herausgezogen.«
    »Ach, da bist du ja«, sagte Zaleshoff. »Dies ist meine Schwester Tamara.«
    Sie lächelte, und ich lächelte zurück.
    »Es freut mich, daß Sie kommen konnten, Mr. Marlow«, sagte sie. »Ich fürchtete, Sie würden böse sein, daß wir gestern abend nicht mit Ihnen sprachen. Andreas hat Ihnen vermutlich erklärt, warum wir es nicht taten.«
    »Eigentlich nicht«, antwortete ich, »aber ich bin überzeugt, daß es notwendig war.«
    »Andreas, du sagtest doch …«
    Er machte eine Armbewegung. »Darüber werden wir nach dem Essen sprechen. In die Küche, Tamara.«
    Sie schüttelte mitleidig den Kopf und verschwand in die Küche.
    Zaleshoff lachte leise.
    »Trinken Sie was, Marlow?«
    »Gerne.«
    »Whisky? Ich habe eigens eine Flasche besorgt.«
    »Das ist sehr nett von Ihnen.«
    Er holte ein paar Gläser aus dem Bücherschrank. »Nichts ist zu gut für einen Mann, der einen ganzen Abend mit Vagas durchhält.«
    »Ah, Sie kennen ihn also?«
    Er hob protestierend einen Finger. »Ich weiß von ihm. Sagen Sie, wenn’s genug ist.«
    »Halt.«
    »Ich möchte wetten, daß er Sie vor mir gewarnt hat?«
    »In gewissem Sinne.«
    »Aha! Prost!«
    Das Mädchen kam mit einer großen Kupferschüssel herein. »Mögen Sie ein richtiges Paprikagulasch, Mr. Marlow?«
    »Sehr sogar.«
    »Schön. Genau das gibt’s nämlich.«
    »Und wenn er gesagt hätte, daß er’s nicht ausstehen kann«, knurrte Zaleshoff. »Was hättest du dann gemacht? Vermutlich

Weitere Kostenlose Bücher