Anlass
erpressen ließ? Ich hätte es auf Vagas’ Bluff ruhig ankommen lassen. Schließlich wäre sein Wort gegen das Fernings gestanden. Pelcher ist nicht auf den Kopf gefallen.«
»Nein, aber Vagas ist es ebenfalls nicht. Es wäre nicht nur sein Wort gegen das Fernings gestanden. Vagas hatte Beweise. Wenn Pelcher ihm nicht geglaubt hätte, hätte er ihm nur die Resultate von Fernings Arbeit während eines Monats zu zeigen brauchen. Pelcher hätte nur Vagas’ Daten mit den eigenen Unterlagen vergleichen müssen, um zu sehen, daß Vagas recht hatte. Stimmt’s?«
»Ja, das seh ich ein. Aber was hat das mit der Ermordung Fernings zu tun, von der Sie sprachen?«
Er machte eine abwehrende Bewegung. »Das kommt jetzt. Erst noch einen Whisky?«
»Ja, danke. Ich glaube, ich habe einen nötig.«
»Vichy oder Wasser?« fragte das Mädchen.
»Vichy bitte.«
Wir tranken schweigend. Zaleshoff setzte sein Glas heftig nieder.
»Haben Sie je von der Ovra gehört, Marlow?«
»Nein. Was ist das – ein Gemüse?«
»Die Frage war rhetorisch, Mr. Marlow«, rief Tamara dazwischen. »Sie brauchen nichts weiter zu tun, als den Kopf zu schütteln. Er weiß sehr wohl, daß Sie nicht wissen, was die Ovra ist. Er drückt sich nur so aus, um Eindruck zu machen.«
Zaleshoff hieb mit der Faust auf den Tisch. »Ruhig, Tamara!« Er kam mit seinem Kopf ganz nahe an mein Gesicht. »Sehen Sie diese grauen Haare, Marlow? Sie sind das Werk dieser liebevollen Schwester hier.«
Ich konnte keine grauen Haare sehen, aber ich ging darüber hinweg. »Wir sprachen gerade von der Ovra«, erinnerte ich ihn.
»Ach ja!« Er schaute uns beide an und nahm einen Schluck. Dann fuhr er fort.
»Das Wort Ovra wird aus den Anfangsbuchstaben von vier italienischen Wörtern gebildet – Organizzazione Vigilanza Repressione Antifascismo , Überwachungsorganisation zur Bekämpfung des Antifaschismus. In anderen Worten: Geheimpolizei, das italienische Äquivalent der Gestapo. Die Jungens sind eine so reizende Gesellschaft, wie man sie sich nur wünschen kann. Sie haben von der Mafia, der geheimen sizilianischen Terrororganisation gehört? Diese Leute haben als erste Schutzgebühren erpreßt. Wer nicht bezahlen konnte oder wollte, wurde verprügelt oder erschossen. In der Provinz Palermo allein brachten sie in einem Jahr zweitausend um die Ecke. Chicago war ein Kinderspielplatz dagegen. Aber 1923 hatten die Faschisten eine Idee. Sie zerschmetterten die Mafia. Es dauerte einige Zeit, aber es gelang. Es war, wie sie sagten, eine der Segnungen des Faschismus. Aber wie manche andere faschistische Segnung, war es eine gemischte Freude. Einige der Mafiagangster wanderten nach den Vereinigten Staaten aus und setzten dort ihr Gewerbe fort, was sehr erfreulich für die Italiener, aber weniger für die Amerikaner war. Die meisten der Kerle aber wurden von der Ovra übernommen und in die verschiedensten Landesgegenden verschickt, so daß sie sich nicht wieder organisieren konnten. Sie mußten für die Regierung arbeiten. Das war wieder weniger gut für das italienische Publikum. Das erste Geschäft der Ovra war, die Opposition zu liquidieren – die Liberalen und die Sozialisten. Das war im Jahre 1924. Sie leistete großartige Arbeit. Der Mord an Oppositionsführer Matteotti, ein paar Stunden ehe er dokumentarische Beweise für eine Anklagerede gegen die Faschisten erbringen wollte, war einer ihrer ersten Erfolge. Aber es war nur ein Anfang. Sie waren die Erzväter des amerikanischen Gangstertums, und sie verstanden ihr Geschäft. Der Durchschnittsitaliener ist ein netter Kerl. Er neigt zwar ein wenig dazu, sich und sein Vaterland zu dramatisieren, aber er ist nett. Er liebt seine Frau und seine Kinder, arbeitet hart und schätzt seine Unabhängigkeit. Aber gegen Terror hilft Empörung wenig. Der Terrorismus gewinnt immer, und die Regierung wußte das. Durch die Schaffung der Ovra festigte sie ihre Machtposition. Die Liquidierung der Opposition durch sie war eine der blutigsten Seiten in der Geschichte. Prügeln, niederknüppeln, töten: das gehört bei der Ovra alles zur normalen Tagesarbeit. Die Mafiatradition lebt weiter. Die Ovra ist allmächtig. Sie ist zu einer regulär konstituierten Geheimpolizei geworden, und die Regierung braucht ihre Existenz gar nicht mehr zu verheimlichen.«
Er sah mich zweifelnd an. »Sie fragen sich vermutlich, was dies alles mit Ferning zu tun hat. Es hat eine Menge mit ihm zu tun, aus dem einfachen Grunde, weil eine der Abteilungen, die jetzt
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