Anleitung zum Alleinsein
interessiere, bestätigt er mir das, was die Verkäufer in den Kettenläden immer vehement bestritten haben: dass bei der 501, auch wenn dieselbe Größe aufgedruckt ist, die Hosen im Schnitt stark voneinander abweichen können. Die vorgewaschene 32 × 34, die ich will, hat er nicht da – seine Auswahl ist nicht groß –, aber nach viel Messen und Vergleichen findet er eine 33 × 34, die so klein ausfällt, dass sie mir wie angegossen passt.
«Levi’s macht mir Schwierigkeiten», sagt er, als er den Betrag eintippt. (Der Preis ist derselbe wie in den Kettenläden.) «Die sagen, ich mache zu wenig Umsatz. Seit sechzig Jahren verkaufen wir Levi’s, und jetzt sagen sie, ich mache zu wenig Umsatz.»
Nachdem er mich wegen meines zunehmenden Bauchumfangs freundschaftlich aufgezogen und mich dann nach meiner Hemdengröße gefragt hat, überreicht er mir ein T-Shirt zu meiner neuen Jeans. Es hat als Aufdruck eine Schablonenzeichnung der Bundeshaftanstalt.
Hätte Shakespeares Richard II. in den dreißiger Jahren in Alcatraz eingesessen, dann wären ihm vielleicht die Einzigartigkeit von Bau und Anlage, die Herrlichkeit der Szenerie darum herum und das Romantische der unvollkommenen Sicherheit aufgefallen. Im Hochsicherheitsgefängnis ADX Florence würde Richard II. eine vollkommene, anonyme Zweckmäßigkeit inmitten einer verdorrten Landschaft sehen. Wenn er das Gefängnis, in dem er einsaß, mit der Welt von 1995 vergleichen würde, sähe er zwangsläufig das viele Geld. Dollars innen, Dollars außen.
Das Futuristische am ADX und der CSP ist nicht ihre Hightech-Ausstattung (man sieht dort keine Exoskelettuniformen oder Strahlenwaffen wie in Science-Fiction-Filmen), sondern der gesellschaftliche Kontext, in dem diese Einrichtungen stehen. Es fällt nicht schwer, die Logik zu extrapolieren, die der Lösung des Kriminalitätsproblems, wie unsere Volkswirtschaft sie sich vorstellt, zugrunde liegt. In vielerlei Hinsicht wird die Zukunft schon in unserer nicht ganz unerfreulichen Gegenwart erkennbar. Beispielsweise sinkt die Mordrate in New York City, während die Häftlingszahlen in den Gefängnissen des Staates New York steigen. Drei Viertel der Insassen des staatlichen Systems kommen aus nur sieben verarmten Stadtvierteln New Yorks. Anscheinend ist es wirklich machbar, das Problem einfach wegzuschließen. Überall im Land werden die Bildungsprogramme für Häftlinge gekürzt, steigt die Zahl der Hinrichtungen, und immer mehr Gesetzgeber fordern lautstark eine Reduzierung der Freizeitangebote für Häftlinge und eine höhere Besteuerung der Gefängnisarbeit.
Der schwarze oder hispanische Jugendliche, dessen Vater einsitzt und dessen Stadtteil ihm keinen besseren Job anbieten kann, als Lebensmittel einzutüten, begeht ein Verbrechen, kommt vor Gericht und wird dann in einer ländlichen weißen Gemeinde eingelocht. Zwischen dem ersten und dem dritten Delikt wird eine zynische Rechnung aufgemacht: Der in Haft genommeneJugendliche kommt verbittert und unvermittelbar aus dem Gefängnis; zwangsläufig begeht er wieder ein Verbrechen, zwangsläufig gibt es unschuldige Opfer. Wiederholungstäter sind der Preis des Wirtschaftens in diesem Land, und selbst sie machen sich noch bezahlt, indem sie in der Öffentlichkeit die Angst vor Verbrechen wachhalten.
Ein Sozialdarwinist könnte über die Schönheiten der Evolution unserer Ökonomie ins Grübeln kommen. Die Presse berichtet über Verbrechen (besonders über die relativ seltenen Fälle willkürlicher Gewalt gegen Weiße), weil Verbrechensberichterstattung Auflage macht – weil das weiße Publikum gern darüber liest. Und schon wird die intensive, entkontextualisierte und äußerst verkaufsträchtige Verbrechensberichterstattung zum Nachweis einer Epidemie des Verbrechens; das Publikum hat «die Nase voll», von etwas zu hören, wovon zu hören es, wie jeder Insider weiß, nie die Nase voll hat, und das ermächtigt die gewählten Vertreter, hart durchzugreifen. Auf diese Weise wird der Kriminelle dämonisiert. Der Abstand zwischen uns und ihm wächst und gewährleistet so, dass wir in dem Land, das den Western, den Krimi und die Elf-Uhr-Nachrichten erfunden und die James Brothers und Bonnie und Clyde verherrlicht hat, immer das hören können, was wir am wenigsten, also am liebsten hören wollen. Indem wir uns von unseren Mördern unterhalten lassen und sie dann bestrafen, versuchen wir unablässig, die Widersprüche zu exorzieren, die uns zu Amerikanern machen.
Weitere Kostenlose Bücher