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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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lässt: die strenge, maßregelnde elterliche Hand, die die meisten seiner Insassen nie erfahren haben. Hält man sich an die Regeln und lernt, seine antisozialen Impulse zu beherrschen, gelangt man von der sehr unangenehmen Stufe I (keine Vergünstigungen, zwei Mann Begleitung auf dem Weg zur Dusche) zu der weniger unangenehmen Stufe III (mehr Taschengeld, mehr persönliche Freiheiten) und schließlich, nach einem halben oder ganzen Jahr, zurück in ein Gefängnis, in dem Kontakte zu den Mithäftlingen möglich sind. Es ist die Theorie des
in loco parentis
. Damit will man im CSP dem kindlichen, sich ausagierenden Häftling vor Augen führen, dass er nicht allein auf der Welt ist und ihr gegenüber Verpflichtungen hat.
    Das Personal im CSP verwendet eine beträchtliche Findigkeit darauf, für bestimmte Verstöße «Pläne zum Verhaltensmanagement» maßzuschneidern. Wer beispielsweise einen Wärter mitKot bewirft, dem wird zur Strafe das normale Gefängnisessen vorenthalten. Stattdessen wird er auf eine spezielle «Korrekturdiät» gesetzt: einen matschigen, stark proteinhaltigen Kloß, den Dennis als «nicht sehr schmackhaft» beschreibt. Mit allem Feingefühl, das ich aufbringen kann, frage ich, ob die spezielle «Korrekturdiät» den Kot dessen, der sie zu sich nimmt, verändert. Dennis verneint das. Die Diät sei einfach eine Botschaft: Benimm dich anständig, dann kriegst du auch wieder richtiges Essen.
    Als ich mich über die Möglichkeit seelischer Störungen durch sensorische Deprivation im CSP besorgt zeige, lässt Dennis einen Experten ausrufen, einen Sozialarbeiter namens Gene Espinoza, der mir sagt, so isoliert seien die Gefangenen doch gar nicht. Abgesehen von den personalintensiven täglichen Kontakten riefen die Häftlinge einander in ihren Zellen zu, klopften an die Wände und drehten, wenn sie sich unbeobachtet wähnten, aus ihren Bettlaken «Rattenschnüre» – lange Wülste, die sie unter der Zellentür hindurchschöben, dann wie mit einer Peitsche damit schlügen und so versuchten, andere Zellentüren zu erreichen. Wenn man es geschafft habe, im «Container» Tabak einzuschmuggeln (das ist Dennis’ launige Formulierung; sie bedeutet, «so im Rektum verborgen, dass man es bei der einfachen Überprüfung durchs Auseinanderziehen der Gesäßbacken nicht sehen kann»), und ihn einem Nachbarn verkaufen möchte, sei die Rattenschnur das bevorzugte Mittel zur Durchführung der Transaktion.
    Mein guter Draht zu Dennis wird einen Augenblick lang durch Verlegenheit gekappt, als ich darauf hinweise, dass die Kontakte, die Mr.   Espinoza als einen Segen für die geistige Gesundheit hinstellt, doch eigentlich gegen die Bestimmungen verstoßen und routinemäßig bestraft werden. Dieses Paradox löst Dennis folgendermaßen auf: «Den Häftlingen ist es untersagt, miteinander zu kommunizieren. Dennoch kommunizieren sie.»
    Das CSP ist vollkommen ausgelastet. Im Juni waren hier486   Männer und dreizehn Frauen inhaftiert. Jede der vier «Einheiten» des CSP hat ein eigenes Arztzimmer und einen eigenen Friseursalon (der gleichzeitig als psychologischer Beratungsraum dient); dadurch soll die Zeit, die ein Häftling außerhalb seiner Einheit verbringt, auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Das Zentrum jeder Einheit bildet ein zweigeschossiger Kontrollbereich, von dem aus acht
«pods»
, also «Kapseln», tangential abgehen. Der obere Stock des Kontrollbereichs ist verglast und mit zwei Wärtern besetzt, die große Farbmonitore vor sich haben, auf denen Schlösser, Beleuchtung, Sprechanlagen, Wasserversorgung und dergleichen überwacht werden. Dennis erzählt, es seien ursprünglich Touchscreens gewesen, aber dadurch hätten die Wärter immer wieder, wenn sie geniest hätten oder mit dem Ärmel darangekommen seien, versehentlich Türen geöffnet. Jetzt arbeiten sie mit Trackball und Fernbedienung.
    Jede Kapsel enthält auf zwei Stockwerken sechzehn Zellen, die auf einen «Tagesraum» mit gewachstem Betonfußboden hinausgehen. Das oberste Prinzip einer Kontrolleinheit ist, dass kein Häftling direkten Kontakt mit einem anderen aufnehmen kann, und die Elektronik hier ermöglicht eine ausgeklügelte Choreographie des Kommens und Gehens. Die Häftlinge der Disziplinarstufen I und II müssen jedes Mal, wenn sie die Zelle verlassen, gefesselt und von zwei Wärtern begleitet werden; der große Anreiz von Stufe III besteht darin, dass man die fünfzehn Meter zur Dusche, in den Kraftraum oder zum Telefon ohne Begleitung

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