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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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des Kontrakts mit seiner eigenen Gemeinde: da er seine selbstdarstellerischen Imperative, seine persönliche Eitelkeit oder seine Mitgliedschaft im literarischen Club über den legitimen Wunsch des Publikumsnach Verbundenheit stellt – mit anderen Worten, ein Arschloch ist. Sehen Sie das Ganze extrem marktwirtschaftlich, legt der Kontrakt fest, dass der Fehler, falls ein Buch nicht gefällt, beim Produkt liegt. Wenn Sie sich also an einem schwierigen Wort in einem Roman die Zähne ausbeißen, beschuldigen Sie den Autor. Setzt Ihr Professor einen Autor wie Theodore Dreiser auf die Leseliste, fällt Ihre studentische Evaluierung harsch aus. Spielt das örtliche Sinfonieorchester zu oft Musik des 20.   Jahrhunderts, kündigen Sie das Abonnement. Sie sind ja der Verbraucher, also haben Sie das Sagen.
    Aus der Statusperspektive signalisiert Schwierigkeit in der Regel hohe Qualität; sie suggeriert, dass der Autor des Romans billige Kompromisse verachtet und seiner künstlerischen Vision treu geblieben ist. Leicht zu lesende Literatur sei von geringem Wert, so das Argument. Ein Vergnügen, das große Anstrengung, eine langsame Durchdringung des Rätsels, das Dranbleiben weniger geübter Leser erfordert, ist das Vergnügen, das sich am meisten lohne, und wenn Sie das, wie Mrs.   M–––, nicht packen, dann zum Teufel mit Ihnen.
    Der dem Statusmodell eigene Standpunkt schmeichelt zweifelsohne dem Gefühl des Autors, dass er wichtig ist. Im Kern allerdings bin ich eher ein Kontrakt-Mensch. Ich wuchs in einem freundlichen, egalitären Vorort auf und las Bücher zum Vergnügen. Noch jetzt, als Erwachsener, halte ich mich für einen liederlichen Leser. Ich habe mit der Lektüre von
Moby-Dick, Der Mann ohne Eigenschaften, Mason & Dixon, Don Quijote, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Doktor Faustus, Naked Lunch, Die goldene Schale
und
Das goldene Notizbuch
angefangen (in manchen Fällen mehrmals), ohne die Bücher auch nur annähernd zu Ende zu lesen. Tatsächlich ist das bei weitem schwierigste Buch, das ich überhaupt je freiwillig ganz gelesen habe, Gaddis’ 956   Seiten langer erster Roman
Die Fälschung der Welt
.
     
    Gaddis, dessen letzte zwei Bücher in diesem Herbst erscheinen, vier Jahre nach seinem Tod, wäre im Dezember achtzig geworden. Wie kaum ein anderer amerikanischer Schriftsteller seiner Generation hat er sich freimütig dem Statusmodell verschrieben und das Kontraktmodell verachtet. Seine Methoden waren zunehmend postmodern, doch hing er altmodischen Vorstellungen aus der Zeit der Romantik und der klassischen Moderne an, die besagten, der Künstler sei ein Erlöser und das Kunstwerk etwas Einzigartiges und Heiliges; die Misere von Kunst wie Künstler in einem kommerzwütigen Amerika stand im Zentrum seines Werks. Eines Werks, das selbst der Inbegriff des Schwierigen ist.
    Ich las
Die Fälschung der Welt
Anfang der neunziger Jahre als eine Art Buße. Im Jahr davor hatte ich, während mein Vater in einer anderen Zeitzone allmählich den Verstand verlor, zwei Treatments und vier vollständige Fassungen eines «Original»-Drehbuchs geschrieben. Statt bares Geld dafür zu bekommen, fand ich die begeisterte Unterstützung eines Hollywood-Agenten, der aus Mitleid oder Nachlässigkeit nie erwähnte, dass meine Geschichte eine fatale Ähnlichkeit mit dem Film
Fun with Dick and Jane
besaß, den ich nie gesehen hatte. In meiner Geschichte wurden Doppel- und Dreifachspiele getrieben von Figuren, die sich mit Hilfe eines prothetischen Make-ups für andere Figuren ausgaben. Ich lebte in jenem Wutzustand, den man erreicht, wenn man immerzu eine Arbeit macht, von der man weiß, dass sie schludrig und unehrlich ist. Im September dann, als ich das Projekt fallenließ, war eine Wand meines Arbeitszimmers voller Schrunden und Dellen von den Bleistiften, Manuskripten, Schuhen und Telefonbüchern, die ich dagegengeschmissen hatte. Ich lieh mir Geld, verließ Philadelphia, zog nach New York und wohnte zur Untermiete in einem dunklen, karg möblierten Loft in Tribeca (ja, Mrs.   M–––, einem Loft), dessen Geräuschlosigkeit nur von dem schattenhaften Kommen und Gehen von Tauben im Luftschacht gestört wurde. Meine Hoffnung ging dahin, nunetwas Literarisches zu schreiben, aber ich hatte leserfreundliche Texte, gut gemachte Handlungen und liebenswerte Figuren satt. Eines Abends zog ich wie einer, der sich harte Drogen beschaffen will, in einem Zustand grimmiger Verzweiflung los, lief die Sixth Avenue entlang und

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