Anleitung zum Alleinsein
Nachkriegsliteratur, sowohl der Archetyp des Schwierigen als auch die erste umfassende Kulturkritik, die, selbst wenn Heller und Pynchon den Roman nicht kannten, als sie
Catch-22
und
V.
schrieben, beider Geist zu antizipieren vermochte. Gaddis war das Original des intensiven, in Secondhand-Klamotten gewandeten, mit Monsterwissen bewehrten jungen Mannes, dessen Ehrgeiz, hätte er ihn öffentlich gezeigt, den anderen Fahrgästen in der U-Bahn die Augenbrauen versengt hätte.
Mein Problem war, dass ich die Schriftsteller meines modernen Kanons mit wenigen Ausnahmen, insbesondere Don DeLillo, gar nicht besonders
mochte
. Ich besorgte mir ihre Bücher (darunter
Die Fälschung der Welt
), las ein paar Seiten und gab siewieder zurück. Ich mochte die
Vorstellung
von gesellschaftlich engagierter Literatur, und ich arbeitete an meinem eigenen Systemroman über Verschwörung und Apokalypse, und ich gierte nach dem Respekt sowohl der akademischen als auch der hippen Welt, der Pynchon und Gaddis entgegengebracht wurde, nicht aber Saul Bellow und Ann Beattie. Doch Bellow und Beattie, ganz zu schweigen von Dickens und Conrad und Brontë und Dostojewski und Christina Stead, waren die Autoren, die ich absolut unhip gerne las. Wenn Robert Coovers
Öffentliche Verbrennung
und Pynchons
Versteigerung von No. 49
mich bewegten, so vor allem deshalb, weil ich Coovers Figur Richard Nixon und Pynchons Oedipa Maas mochte. Aber postmoderne Literatur sollte ja gar nicht von sympathischen Figuren handeln. Überhaupt sollte es Figuren im eigentlichen Sinn nicht mehr geben. Eine Figur war ein schwaches, verdächtiges Konstrukt, so wie der Autor selbst, so wie die menschliche Seele. Dennoch brauchte ich sie zu meiner Schande offenbar.
Erst in den Neunzigern, nachdem ich ein Jahr an das Drehbuch verschwendet hatte, versuchte ich, meine College-Begeisterung für wirklich schwierige Bücher neu zu entfachen. Ich brauchte einen Beweis, dass ich ein ernstzunehmender Künstler war und kein unwissentlicher Plagiator von
Fun with Dick and Jane
, und dafür war
Die Fälschung der Welt
genau das Richtige. Das ganze Ding zu lesen würde mir außerdem Prahlrechte verleihen. Wenn jemand mich fragte, ob ich Barths
Tabakhändler
gelesen hätte, könnte ich zurückschießen: Nein, aber hast du
Die Fälschung der Welt
gelesen? Und den Rauch vom Lauf meines Revolvers blasen.
Aber dann kam alles ganz anders als erwartet. Besonders viele fragten mich in den Neunzigern nicht, ob ich den
Tabakhändler
gelesen hätte.
Die Fälschung der Welt
wiederum – ob nun seiner Vorzüge oder der Umstände wegen, unter denen ich es gelesen hatte – haute mich um. Die Figuren waren nicht sympathisch,aber Witz und Leidenschaft und Ernsthaftigkeit ihres Schöpfers waren es. Teils ihm zu Ehren betitelte ich meinen dritten Roman. 1
Einige Jahre nachdem ich
Die Fälschung der Welt
erobert hatte, begann ich mit Gaddis’ zweitem Roman,
JR.
Wieder kaufte ich das hübsche Penguin-Taschenbuch, und jeden Abend verbrachte ich ein, zwei Stunden mit der Lektüre. Der Roman, eine wuchtige Komödie über Korruptheit und soziale Entropie des heutigen Amerika, war nicht weniger brillant als
Die Fälschung der Welt
. Nur leider hatte ich zum Lesen nicht mehr den Luxus oder die Last ganzer Tage. Eines Abends gab ich mitten in einem vier Seiten langen Absatz auf, und die nächsten Abende war ich bis spät unterwegs, und als ich dann
JR
wieder aufschlug, fand ich mich nicht mehr zurecht. Ich legte es in der Hoffnung beiseite, die Fäden an einem anderen Abend wiederaufzunehmen. Zwei Monate später stellte ich es verstohlen ins Regal. Das Lesezeichen, eine schicke TicketMaster-Hülle mit einer Anzeige für «K-ROCK 92.3 FM (HOWARD STERN ALL MORNING /
CLASSIC ROCK’N’ROLL ALL DAY)
», blieb auf Seite 469 stecken und dokumentierte meine Niederlage durch
JR
oder
JR s
Niederlage durch mein unruhiges Leben.
Im Sinne des Statusmodells war ich als Leser schlicht gescheitert. Aber ich hatte das Kontraktmodell auf meiner Seite. Wochenlange Abendlektüre hatte ich dem Buch gewidmet, und trotzdem ging die Rechnung bei mir nicht auf; nun war ich auf kürzere, wärmere Bücher von James Purdy, Alice Munro, Penelope Fitzgerald, Halldór Laxness aus. Während ich mich durch
JR
gekämpft hatte, wollte ich Gaddis immer am Revers packen und schreien: «Hallo! Ich bin doch der Leser, den du haben willst! Ich
suche
den guten Systemroman geradezu. Wenn du nicht mal
mir
eine schöne Zeit verschaffen kannst, wer
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