Anleitung zum Alleinsein
aus, nachdem seine Frau Esther sich überrascht gezeigt hat, dass ein gewisser beliebter Dichter (vielleicht Auden) homosexuell ist. Wyatt verwirft ihr Interesse an «privaten Dingen von Schriftstellern und Malern» als lüsterne Zerstreuung, und dann bricht es aus ihm heraus:
Was ist noch übrig von ihm, wenn er sein Werk getan hat? Was ist der Künstler überhaupt, wenn nicht der Abfall seines Werks? der menschliche Scherbenhaufen, der ihm folgt. Was bleibt von dem Mann übrig, wenn das Werk getan ist, als ein armseliger Scherbenhaufen.
Gaddis zeichnet Esther als eine «Vagina dentata», die unbedingt mit Künstlern schlafen und «die Eigenschaften, die ihr vorenthalten worden sind, aufsaugen» will. Wyatt zieht sich von ihr zurück, hinein in Kälte und Entrücktheit, und auf ganz ähnlicheWeise entzieht sich Gaddis dem Leser – als wäre der Umgang mit dem Publikum für ihn ein Vergnügen, das die Reinheit seiner Motive zu beflecken droht. Gaddis, der erklärtermaßen danach strebte, Literatur zu schreiben, die «von Dauer» sei, interessierte nicht der schwache und fleischliche Künstler, sondern dessen Nachleben. Obwohl er eine Familie und viele Freunde hatte und ein lebhaftes gesellschaftliches Leben führte, in dem er literarischen Tratsch genoss, verweigerte er sich als Person beständig der Öffentlichkeit. Mit derartigen strengen Verboten widerstehen religiöse Minderheiten den Verlockungen der Mehrheitskultur, und Gaddis hatte in den fünfziger Jahren als Beispiele für Schriftsteller, die verführt worden waren, Norman Mailer und Truman Capote vor Augen. Da blieb er lieber Purist seines Glaubens. In seiner fünfzig Jahre langen Laufbahn als Schriftsteller gab er genau ein umfangreiches Interview, der
Paris Review
. Er veröffentlichte einen einzigen kurzen autobiografischen Essay. Er machte keine öffentlichen Lesungen.
Nicht dass übermäßiges Medieninteresse je ein großes Problem gewesen wäre.
Die Fälschung der Welt
erschien 1955 im Verlag Harcourt, Brace & Co. mit der Vermarktungsstrategie: «Alles spricht über dieses kontroverse Buch!» Es wurde fünfundfünfzigmal besprochen, nach heutigen Maßstäben eine eindrucksvolle Zahl, und wie William Gass in seinem Vorwort zur Penguin-Ausgabe schreibt: «Nur dreiundfünfzig dieser Rezensionen waren dumm.» Der
New Yorker
brachte einen kurzen, süffisanten Verriss («Worte, Worte, Worte»), Dawn Powell wartete in der
New York Post
mit einem von Fehlern strotzenden Genörgel auf. Vom Hardcover wurden rund fünftausend Exemplare verkauft, nicht schlecht für den anspruchsvollen Romanerstling eines unbekannten Autors. Doch der einzige Preis, der dem Buch verliehen wurde, galt der Ausstattung, und rasch verschwand es aus dem Blick der Öffentlichkeit.
«Ich glaube fast, wenn ich bei Erscheinen der
Fälschung der
Welt
den Nobelpreis bekommen hätte, wäre ich nicht furchtbar überrascht gewesen», sagte Gaddis 1986 der
Paris Review
und fügte hinzu, die Aufnahme des Buches sei «ernüchternd» und «demütigend» gewesen. Wäre der Roman auf größere Zustimmung gestoßen, dann hätte Gaddis sich vielleicht ein wenig zurücklehnen können; vielleicht wäre Wyatts «Was wollen die denn überhaupt»-Tirade wie auch seine anderen Puritanismen als die Attitüde des schmalen jungen Mannes, allem entwachsen zu sein, durchschaut worden. Doch das bezweifle ich. Das Buch
handelt
schließlich von der Gleichgültigkeit der Alltagswelt gegenüber der überlegenen Wirklichkeit der Kunst. Die letzten Zeilen («hochgeschätzt, wenn auch nur selten aufgeführt») weisen unmissverständlich auf die Rezeption des eigenen Werks voraus. Die Hoffnung zu nähren, dass der randständige Roman, den man geschrieben hat, vom Mainstream gefeiert wird – der kassandraartige Wunsch, dass die Menschen es einem danken, wenn man ihnen unliebsame Wahrheiten sagt –, ist ein Ritual, das dazu führt, sich der Enttäuschung auf Dauer zu versichern, sich den weltnegierenden Status seiner selbst zu bestätigen, das Fleisch zu kasteien, im Herzen ein zorniger junger Mann zu bleiben. In den vier Jahrzehnten nach dem Erscheinen der
Fälschung der Welt
wurde Gaddis’ Werk immer zorniger. Ein charakteristisches Paradox der literarischen Postmoderne: der Schriftsteller, dessen am wenigsten zorniges Werk als Erstes geschrieben wurde.
Einiges von Gaddis’ Zorn war offenbar angelegt. 1922 geboren, wuchs er erst bei seiner Mutter in einem alten Haus in Massapequa auf Long Island
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