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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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«softeres» modernes Bürodesign verlegt das Schlafzimmer ins Sitzungszimmer, Verkäufer reden Kunden einseitig mit Vornamen an, Kellner bringen mir mein Essen erst, wenn ich eine persönliche Beziehung zu ihnen aufgebaut habe, synthetische Telefonansagestimmen betonen das «ich» in «Bedaure, aber
ich
kann Sie mit der von Ihnen gewählten Nummer nicht verbinden», und in einer besonders grotesken Begriffsverwirrung bezeichnen Cyberenthusiasten geätzte Silikonplättchen, mit denen ein unrasierter «Teilnehmer» im Schneidersitz auf dem zerwühlten Bett kommunizieren kann, als «öffentliches Forum». Die vernetzte Welt eine Bedrohung der Privatsphäre? Sie ist das hässliche Schaustück einer auftrumpfenden Privatsphäre.
    Ein wirklich öffentlicher Raum ist der, wo jeder Bürger willkommen und das rein Private entweder ausgeschlossen oder zurückgedrängt ist. Ein Grund für den Anstieg der Publikumszahlen in Kunstmuseen während der letzten Jahre ist, dass man Museen noch immer in dieser Weise als öffentlich wahrnimmt. Nach all den zerwühlten Betten – wie herrlich der vorgeschriebene Anstand und die Stille, das Fehlen eines dreisten Konsumismus. Wie schön das Promenieren, das Sehen und Gesehenwerden. Jeder braucht zuweilen eine Promenade – einen Ort, wo er hin kann, wenn man der Welt zeigen will (nicht der kleinen Welt der Freunde und Familie, sondern der großen, der echten), dass man einen neuen Anzug hat oder verliebt ist oder plötzlich merkt, dass man volle zwei Zentimeter größer ist, wenn man die Schultern nicht hängen lässt.
    Leider ist der rein öffentliche Raum eine nahezu verschwundeneKategorie. Wir haben noch den Gerichtssaal und die Geschworenenliste, Pendlerzüge und Busbahnhöfe, hier und da die Hauptstraße einer Kleinstadt, die auch wirklich eine Hauptstraße und keine Einkaufszeile ist, bestimmte Cafés, bestimmte Flaniermeilen in der Stadt. Ansonsten ist für den erwachsenen Amerikaner der einzige halbwegs öffentliche Raum die Arbeitswelt. Dort, besonders in den höheren Büroetagen, werden Kleider- und Verhaltensordnungen routinemäßig durchgesetzt und persönliche Enthüllungen unter Strafe gestellt; noch immer ist dort Förmlichkeit die Regel. Doch diese Rituale erstrecken sich nur auf Firmenangestellte, und selbst die werden, wenn sie sich als alt, behindert, obsolet oder outsourcebar entpuppen, leicht abgestoßen und somit aufs zerwühlte Bett verbannt.
    Die letzte große, trutzige Bastion des öffentlichen Lebens in den Vereinigten Staaten ist Washington, D.C.   Daher mein Gefühl, dass etwas entweiht wurde, als der Starr-Bericht hereinplatzte. Daher das Gefühl, bedrängt zu sein. Der Bericht war sehr wohl eine Störung der Privatsphäre: Ein Privatleben drang brutal in den öffentlichsten aller öffentlichen Räume ein. In den Nachrichten über Washington will ich keinen Sex sehen. Sex ist überall sonst, wohin ich sehe – in Fernsehserien, im Internet, auf Schutzumschlägen, in Autowerbespots, auf den Reklametafeln am Times Square. Kann es denn nicht einen Bereich in der nationalen Landschaft geben, in dem es nicht ums Schlafzimmer geht? Wir alle wissen, dass in den Hinterzimmern der Macht Sex vorkommt, Sex hinter dem Prunk und Pomp, Sex unter den Roben der Justiz; aber können wir uns nicht wie Erwachsene benehmen und so tun, als verhielte es sich anders? So tun, als würde nicht etwa «keiner hinsehen», sondern
jeder
?
    Seit zwei Jahrzehnten nun preisen Wirtschaftsführer und Politiker fast des gesamten politischen Spektrums, Gingrichs Republikaner ebenso wie Clintons Demokraten, die Vorzüge der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen an. Doch welches bessereWort kann es für die Lewinsky-Affäre und die ihr nachfolgende Flut von Enthüllungen (die Untreue Helen Chenoweths, Dan Burtons, Henry Hydes) als «Privatisierung» geben? Jeder, der sich gefragt hat, wie ein privatisiertes Präsidentenamt wohl aussehen würde, kann sich nun, dank Mr.   Starr, ein Bild davon machen.
     
    In Denis Johnsons Kurzgeschichte «Beverly Home» verbringt der junge Erzähler seine Tage mit der Arbeit in einem Pflegeheim für Schwerbehinderte, unter denen ein besonders bedauernswerter Patient ist, der nie Besuch bekommt:
     
    Krumm und schief hing er im Rollstuhl, bezwungen von unablässigen Krämpfen, und stierte an der eignen Nase vorbei auf seine verknoteten Finger. Dieser Zustand war ganz plötzlich über ihn gekommen. Niemand besuchte ihn. Seine Frau ließ sich von ihm scheiden.

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