Anleitung zum Alleinsein
außer mir noch jemand anders an diesen Ambivalenzen gelitten und am Ende des Tunnels Licht gesehen hatte – dass Fox’ Buch veröffentlicht und aufbewahrt worden war; dass ich Gesellschaft, Trost und Hoffnung in etwas finden konnte, das ich beinahe wahllos aus einem Regal gezogen hatte –, war für mich wie ein Vorgang religiöser Gnade.
Doch während ich als Leser durch die Lektüre von
Was am Ende bleibt
gerettet wurde, verzweifelte ich als Autor von Romanen an der Frage, ob und wie sich das Persönliche mit dem Gesellschaftlichen verbinden ließ. Der Leser, der heute zufällig auf
Was am Ende bleibt
stößt, wird über die Fremdheit der Bentwood’schen Welt ebenso verblüfft sein wie über ihre Vertrautheit. Ein Vierteljahrhundert seitdem hat die Kulturkrise, die Paula Fox registrierte, eher noch bestätigt und verstärkt. Doch von dem, was uns nun Kern jener Krise zu sein scheint – der triviale Aufstieg des Fernsehens, die elektronische Fragmentierung des öffentlichen Diskurses –, ist im Roman noch nichts zu sehen.Für die Bentwoods war Kommunikation gleichbedeutend mit Büchern, einem Telefon und Briefen. Da strömten die dunklen Vorzeichen nicht ununterbrochen durch einen Kabelkonverter oder ein Modem; sie waren erst vage erahnt, an den Rändern der Existenz. Ein Tintenfass, heute viel zu heimelig, war 1970 als Symbol noch denkbar.
In einem Winter, in dem jeder Haushalt in Amerika von der gespenstischen T V-Präsenz Peter Arnetts in Bagdad und Tom Brokaws in Saudi-Arabien heimgesucht wurde – einem Winter, in dem die Bewohner jener Haushalte weniger Individuen zu sein schienen als ein kollektiver Algorithmus für die Umwandlung von medialem Hurrapatriotismus in eine neunundachtzigprozentige Zustimmungsrate –, drängte sich mir der Gedanke auf, dass Otto Bentwood, bräche er heute zusammen, den Bildschirm seines Schlafzimmerfernsehers eintreten würde. Das aber wäre an der Sache vorbeigegangen. Otto Bentwood, gäbe es ihn in den Neunzigern überhaupt, würde nicht zusammenbrechen, weil die Welt ihn gar nicht mehr berühren würde. Als ein unverhohlen elitärer Mensch, als Inkarnation des gedruckten Wortes und echter Einzelgänger gehört er einer Spezies an, die so gefährdet ist, dass sie im Zeitalter medialer Demokratie praktisch nicht zählt. Jahrhundertelang hat Tinte in Form gedruckter Romane unverwechselbare Individuen in bedeutungsvolle Erzählzusammenhänge eingebunden. Was aber Sophie und Otto in der prophetischen schwarzen Sauerei an ihrer Schlafzimmerwand sahen, war das Zerfließen allein schon der Ahnung einer literarischen Figur. Kein Wunder also, dass die beiden verzweifelt waren. Die sechziger Jahre waren noch nicht zu Ende, und sie hatten keine Ahnung, was sie ereilt hatte.
Es war eine Belagerung im Gange – schon seit langer Zeit, aber die Belagerten selbst waren die Letzten, die sie ernst nahmen.
Aus
Was am Ende bleibt
Als ich 1981 vom College abging, hatte ich vom Tod des Gesellschaftsromans noch nichts gehört. Ich wusste nicht, dass Philip Roth die Autopsie schon lange vorher durchgeführt hatte, indem er die «amerikanische Wirklichkeit» als etwas beschrieb, was «abstumpft … krank macht … erbost und letztlich … sogar die eigene karge Einbildungskraft in Schwierigkeiten bringt. Die Realität übertrifft unablässig unsere künstlerischen Talente …» Ich liebte die Literatur und eine Frau, zu der ich mich teilweise deshalb hingezogen fühlte, weil sie eine hervorragende Leserin war. Ich hatte jede Menge Vorbilder für die Art von kompromisslosem Roman, den ich schreiben wollte. Ich hatte sogar ein Vorbild für einen kompromisslosen Roman, der ein großes Publikum erreicht hatte:
Catch 22
. Joseph Heller hatte einen Weg gefunden, die Realität dadurch zu übertreffen, dass er den Widersinn der modernen Kriegsführung Metapher für die umfassende Denaturierung der amerikanischen Wirklichkeit sein ließ. Sein Buch war so tief ins nationale Bewusstsein eingedrungen, dass mein
Webster’s Ninth Collegiate Dictionary
nicht weniger als fünf Bedeutungsnuancen für den Titel nannte. Dass seit
Catch 22
kein anspruchsvoller Roman die Kultur auch nur annähernd so stark beeinflusst hatte, so wie auch kein Thema seit dem Vietnamkrieg so viele entfremdete junge Amerikaner hatte elektrisieren können, wurde leicht übersehen. Am College hatte mir der Marxismus den Kopf verdreht, und ich glaubte, dass der «Monopoly-Kapitalismus» . (wie wir ihn
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