Anleitung zum Alleinsein
darangemacht, ihre Gewinne zu konsolidieren, ihre Märkte zu erweitern, ihre Profite zu sichern und ihre wenigen noch verbliebenen Kritiker zu zermürben. 1993 sah ich die Anzeichen der Konsolidierung überall. Ich sah sie in den dickleibigen Mini-Vans und breithüftigen Geländewagen, die den Pkw als das bevorzugte Fahrzeug der Vorstadt abgelöst hatten – diese Rangers und Land Cruisers und Voyagers waren die wahre Beute eines Krieges, der geführt wurde, damit das amerikanische Benzin seinen Spottpreis behielt, eines Krieges, der als tausend Stunden langes Infomercial für Hochtechnologie daherkam, eines vom Privatfernsehen angezettelten Verbraucherkrieges. Ich sah, dass der Laubbläser den Rechen verdrängte. Ich sah, dass CNN Reisende in den Wartehallen von Flughäfen und Käufer in den Schlangen vor Supermarktkassen in Geiselhaft nahm. Ich sah, dass der 486er Chip den 386er ersetzte und seinerseits vom Pentium ersetzt wurde, sodass der Preis, den Laptops für Einsteiger kosteten, trotz größerer Stückzahlen nie unter tausend Dollar fiel. Ich sah, dass die Football-Mannschaft der Penn State University die Blockbuster Bowl gewann.
Doch noch während ich für das Lesen von Literatur eintrat, überkam mich eine solche Depression, dass ich nach dem Abendessen kaum mehr etwas anderes tun konnte, als mich vor den Fernseher zu hauen. Wir hatten keinen Kabelanschluss, trotzdem fand ich immer etwas Gutes: ein Spiel der Phillies gegen die Padres, der Eagles gegen die Bengals, Serien wie
M*A*S*H, Cheers
und
Homicide
. Aber je mehr ich fernsah, desto schlechter ging es mir natürlich. Wenn man Romane schreibt und nicht mal
selber
Lust zum Lesen hat, wie kann man dann von anderen erwarten, dass sie die Bücher von einem lesen? Ich glaubte, lesen zu
sollen
, genauso wie ich glaubte, einen dritten Roman schreiben zu
sollen
. Und zwar nicht irgendeinen dritten Roman. Es war lange eine vorgefasste Meinung von mir gewesen, dass es eine Romanhandlung bereichert, wenn man die Figuren in einem dynamischen gesellschaftlichen Umfeld ansiedelt, und dass die Größe des Genres in seiner Eigenschaft besteht, die Spanne zwischen privater Erfahrung und öffentlichem Kontext zu überbrücken. Und welchen lebendigeren Kontext konnte es schon geben als das Fernsehen, das diese Spanne kleiner werden ließ?
Allerdings war ich beim dritten Buch wie gelähmt. Ich überlud die Handlung, dehnte sie, um immer noch mehr jener Realitätspartikel in ihr unterzubringen, die sich beim Unternehmen «Literaturverfassen« aufdrängen. Das klare, schöne, anspielungsreiche Werk, das ich schreiben wollte, quoll über von Themen. Ich hatte mich schon in die Pharmakologie und das Fernsehen und die Rassenfrage und das Gefängnisleben und in ein weiteres Dutzend Fachsprachen der heutigen Zeit eingearbeitet; wie sollte ich den Internet-Boom und den Dow Jones satirisch darstellen und gleichzeitig der Komplexität von Figuren und Schauplätzen Raum lassen? Angst wächst in der Kluft zwischen einem sich immer mehr in die Länge ziehenden Romanprojekt und den immer kürzer werdenden Intervallen des kulturellen Wandels: Wie entwirft man ein Boot, das zumindest so lange auf der Geschichteschwimmt, wie es dauert, es zu bauen? Der Autor von Romanen hat seinen Lesern immer mehr zu sagen, während sie immer weniger Zeit zum Lesen haben: Woher nimmt man die Kraft, auf eine Kulturkrise einzuwirken, wo doch die Krise gerade in der Unmöglichkeit besteht, auf die Kultur einzuwirken? Es war eine unglückliche Zeit. Ich fing an zu glauben, dass mit dem Modell des Romans als einer Form des «kulturellen Engagements» etwas nicht stimmte.
Im neunzehnten Jahrhundert , als Dickens, Darwin und Disraeli untereinander ihre Werke lasen, war der Roman das vorherrschende Medium gesellschaftlicher Belehrung. Einem neuen Buch von Thackeray oder William Dean Howells wurde ähnlich entgegengefiebert wie heute dem Start eines Kinofilms am Jahresende.
Der entscheidende, naheliegende Grund für den Niedergang des Gesellschaftsromans ist der, dass die modernen Technologien viel eher dazu taugen, die Gesellschaft zu belehren. Fernsehen, Rundfunk und Fotos sind lebendige Medien des Augenblicks. Auch der Zeitungsjournalismus ist infolge von Truman Capotes
Kaltblütig
zu einer lebensfähigen, schöpferischen Alternative zum Roman geworden. Weil Fernsehen und Nachrichtenmagazine über ein großes Publikum verfügen, können sie es sich leisten, in kurzer Zeit gewaltige Informationsmengen
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