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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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zusammenzutragen. Nur wenige ihre Arbeit sehr ernsthaft betreibende Romanautoren können einen Kurztrip nach Singapur oder auch die Menge an Fachberatung bezahlen, die Fernsehserien wie
Emergency Room
und
NYPD Blue
den Anstrich von Authentizität verleiht. Der durchschnittlich begabte Autor, der, sagen wir, über die Misere illegaler Einwanderer berichten will, wäre töricht, den Roman als Vehikel zu wählen. Ebenso der Autor, der aktuelle Empfindlichkeitenverletzen möchte. Philip Roths Buch
Portnoys Beschwerden
, von dem selbst meine Mutter genug gehört hatte, um es zu missbilligen, war wahrscheinlich der letzte amerikanische Roman, der auf dem Radarschirm des republikanischen Senators Bob Dole als Albtraum von Verderbtheit erscheinen konnte. Die Baudelaires der Gegenwart sind Hiphop-Künstler.
    Das Wesen der Literatur ist einsame Arbeit: die Arbeit des Schreibens, die Arbeit des Lesens. Ich kann Sophie Bentwood genau kennen und von ihr ebenso ungezwungen sprechen wie von einer guten Freundin, weil ich meine eigenen Erfahrungen mit Angst und Entfremdung in mein Bild von ihr habe einfließen lassen. Würde ich sie nur durch ein Video von
Desperate Characters
kennen (für Shirley MacLaine, die sie in dem Kinostreifen von 1971 spielte, war er ein Vehikel für sie selbst), bliebe Sophie eine «andere», abgetrennt von mir durch den Bildschirm, auf dem ich sie gesehen hätte, durch die Oberflächlichkeit von Literaturverfilmungen, durch MacLaines Starpräsenz. Allenfalls hätte ich das Gefühl gehabt, Shirley MacLaine ein bisschen besser zu kennen.
    Doch Shirley MacLaine ein bisschen besser zu kennen, das ist es, was das Land vor allem will. Wir leben in einer Tyrannei des Faktischen. Die täglich neu ans Licht kommenden Geschichten über O.   J.   Simpson, Timothy McVeigh und Bill Clinton haben eine intensive Bildpräsenz, die unser nicht vom Fernsehen ausgestrahltes Leben in eine untergeordnete Schattenwelt verbannt. Um ihren Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit zu rechtfertigen, sind die Massen- und Infomedien gezwungen, im täglichen, ja stündlichen Rhythmus etwas «Neues» anzubieten. Auch wenn gute Romanschriftsteller nicht bewusst auf Trendsuche gehen, verspüren doch viele die Verpflichtung, zeitgenössische Themen zu berücksichtigen, und auf einmal sehen sie sich einer Kultur gegenüber, in der fast alle Themen fast allzeit abgegessen sind. Eine Autorin, die über Gesellschaftliches erzählen will, das nichtnur 1996, sondern auch 1997 noch wahr ist, kann um handfeste kulturelle Bezugspunkte verlegen sein. Was relevant ist, während sie den Roman entwirft, erweist sich, wenn er erst geschrieben, umgeschrieben, gedruckt, ausgeliefert und gelesen ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit als passé.
    Nichts davon hindert Kulturkritiker – in Sonderheit Tom Wolfe   –, Romanautoren den Verzicht auf Gesellschaftsbeschreibungen vorzuwerfen. Das Auffälligste an Wolfes 1989 geschriebenem Manifest für den «Neuen Gesellschaftsroman», auffälliger noch als seine gespenstische Unkenntnis der zahlreichen, zwischen 1960 und 1989 veröffentlichten hervorragenden gesellschaftskritischen Romane, war sein Versäumnis zu erklären, warum sein idealer «Autor neuer Gesellschaftsromane» keine Drehbücher für Hollywood schreiben sollte. Es lohnt also, noch einmal festzuhalten: So wie die Kamera der anspruchsvollen Porträtmalerei einen Pflock durchs Herz trieb, hat das Fernsehen dem Roman als Sozialreportage den Garaus gemacht. Wahrhaft engagierte Romanautoren finden sicher noch Risse in dem Monolithen, in die sie ihre Kletterhaken schlagen können. Das aber tun sie in dem Wissen, dass sie sich nicht mehr, wie einstmals Howells und Sinclair und Stowe, auf ihr Material, sondern nur noch auf ihr eigenes Empfinden verlassen dürfen, und in der Erwartung, dass niemand ihre Bücher noch als etwas Neues liest.
     
    So viel jedenfalls erkannte Philip Roth im Jahr 1961.   Ausgehend von der Beobachtung, dass «das Gefühl, nicht wirklich im eigenen Land zu leben – wie es in
Life
dargestellt ist oder wie man es wahrnimmt, wenn man zur Haustür hinausgeht   –, für einen Autor fiktionaler Texte ein ernstes Berufshandicap sein muss», fragte er recht wehmütig: «Was wird also sein Thema sein? Etwa die Landschaft um ihn herum?» In den Jahren seitdem hatsich das Rad allerdings noch weiter gedreht. Unser Veralten hat nicht mehr nur damit zu tun, dass das Fernsehen die Rolle des Neuigkeitenübermittlers an sich gerissen hat, und ist

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