Anleitung zum Alleinsein
nannten) so sehr von «Negativfaktoren» . (wie wir sie nannten) bestimmt war, dass ein Schriftsteller die Amerikaner mit der Nase darauf stoßen konnte, sofern er seine subversiven Bomben in eine hinreichend verführerische Romanhandlung packte.
Ich begann mit meinem ersten Buch als Zweiundzwanzigjähriger, der davon träumte, die Welt zu verändern. Ich beendete es, als ich sechs Jahre älter war. Die eine winzige welthistorische Hoffnung, an die ich mich noch klammerte, war die auf einen Auftritt bei KMOX Radio, der «Stimme von St. Louis», deren lange, tiefschürfende Autoreninterviews ich immer bei meiner Mutter in der Küche gehört hatte. Mein Roman
Die 27ste Stadt
handelte von der Unschuld einer Stadt im Mittleren Westen – handelte von St. Louis und den hochfliegenden Ambitionen der Kommune in einer Zeit der Apathie und des Niedergangs –, und ich freute mich auf eine Dreiviertelstunde mit einem der Moderatoren der Nachmittagstalkrunden, der, so dachte ich, die Themen aus mir herauslocken würde, die ich im Buch nur angedeutet hatte. Den wütenden Anrufern, die wissen wollen würden, warum ich St. Louis hasste, wollte ich mit der tapferen Stimme von jemandem, der seine Naivität verloren hat, erklären, dass das, was für sie wie Hass aussehe, in Wahrheit trotzige Liebe sei. Unter den Zuhörern wäre auch meine Familie: meine Mutter, die das Romanschreiben für eine gesellschaftlich verantwortungslose Tätigkeit hielt, und mein Vater, der hoffte, er werde eines Tages das
Time
-Magazin aufschlagen und mich darin besprochen sehen.
Erst als
Die 27ste Stadt
vorlag, das war 1988, wurde mir bewusst, wie naiv ich noch immer war. Das obsessive Interesse der Medien an meinem jugendlichen Alter überraschte mich. Ebenso das Geld. Hochgejubelt von optimistischen Verlegern, die meinten, eine im Wesentlichen düstere, sperrige Romanhandlung mit Unterhaltungselementen werde sich irgendwie millionenfach verkaufen, erhielt ich genug, um mein nächstes Buch schreiben zu können. Die größte Überraschung aber – der wahre Indikator dafür, wie wenig ich meine eigene, in der
27sten Stadt
ausgesprochene Warnung beherzigt hatte – war, dass mein kulturkritischer Roman daran scheiterte, auf die Kultur einzuwirken. Ich hatteprovozieren wollen; stattdessen bekam ich sechzig ins Leere gehende Rezensionen.
Mein Auftritt bei KMOX sprach für sich. Der Moderator war ein solider Mensch mit Whiskey-Nase und herzzerreißend über den Schädel gekämmter Tolle, der offensichtlich nicht über das zweite Kapitel hinausgelangt war. Unter dem Galgenmikro strich er über die Romanseiten, als hoffte er, die Handlung transdermal zu resorbieren. Er stellte mir Fragen, die mir jeder stellte: Was ist das für ein Gefühl, wenn man so gute Besprechungen bekommt? (Ein großartiges, sagte ich.) Ist der Roman autobiografisch? (Nein, sagte ich.) Was ist das für ein Gefühl, wenn man im Rahmen einer schicken Lesetour in seine Heimatstadt St. Louis zurückkehrt? Irgendwie enttäuschend. Aber das sagte ich nicht. Ich hatte schon gemerkt, dass das Geld, der Hype, die Fahrt in der Stretch-Limousine zu einem Fototermin für
Vogue
nicht einfach zusätzliche Leistungen waren. Sie waren der Hauptpreis, der Trost dafür, dass man einer Kultur nichts mehr bedeutete.
Um wie viel weniger ein Roman dem durchschnittlichen Amerikaner heute genau bedeutet, verglichen mit der Zeit des Erscheinens von
Catch 22
, lässt sich unmöglich beurteilen. Doch einem ehrgeizigen Jungautor kann nicht entgehen, dass in einer kürzlich von
USA Today
veröffentlichten Umfrage zum Thema «Vierundzwanzig Stunden im kulturellen Leben eines Amerikaners» einundzwanzigmal das Fernsehen genannt wurde, achtmal das Kino, siebenmal Popmusik, viermal das Radio und einmal Literatur
(Die Brücken von Madison County).
Oder dass Zeitschriften wie
The Saturday Review
, die zu Joseph Hellers Zeiten noch haufenweise Romane unter die Lupe nahmen, völlig von der Bildlfäche verschwunden sind. Oder dass die
New York Times Book Review
heute pro Woche gerade noch zwei ausführlicheLiteraturbesprechungen bringt (vor fünfzig Jahren war das Literatur/Sachbuch-Verhältnis eins zu eins).
Der einzige amerikanische Durchschnittshaushalt, den ich gut kenne, ist der, in dem ich aufgewachsen bin, und ich kann berichten, dass mein Vater, der keine Bücher las, dennoch halbwegs wusste, wer James Baldwin und John Cheever waren, weil das Magazin
Time
sie auf seinem Titelblatt zeigte,
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