Anleitung zum Alleinsein
nachdem mir auf diese Weise klargemacht worden war, dass New York für den Rest des Landes heutzutage eine weitgehend abstrakte Stadt ist – bestenfalls ein Ort für die Voodoo-Verwandlung von Fernsehbild in Fleisch –, war ein Spaziergang, den ich durch Silicon Alley in Lower Manhattan unternahm. Silicon Alley ist eine Gegend, in der der Flirt der Downtown-Hipsters mit der digitalen Revolution aus den Schlafzimmern der oberen Stockwerke herabgekommen und sich hinter Flachglas eingerichtet hat; ich sah junge Frauen, dieaussahen wie Models und sich im Fashion Café nicht mal tot hätten blicken lassen, um Monitore geschart, während Gurus mit rasiertem Schädel ihnen beim Konfigurieren halfen. Das Cyber Café in der Lafayette Street 273 ist ein eigenartiges Phänomen. Dem Web-Dogma zufolge dürfte es gar nicht vorhanden sein. «Klick dich durch den Cyberspace», schreibt William J. Mitchell in seinem kürzlich erschienenen Manifest
City of Bits.
«Das ist die neue Architekturpromenade … eine Stadt, die an keinen geographischen Ort der Erdoberfläche gebunden und eher von Datenvernetzung und Bandbreitenbeschränkungen geprägt ist als von Erreichbarkeit und Grundstückswerten, weitgehend asynchron in ihrer Funktionsweise und bewohnt von entkörperlichten und fragmentierten Subjekten, die als Sammlung von Pseudonymen und Vertretern existieren.» Doch das Cyber Café – ganz zu schweigen von den Tausenden von Clubs und Galerien, Buchhandlungen und Nicht-Cyber-Cafés, die es im Umkreis von einer Meile gibt – ähnelt nichts so sehr wie der altbekannten Promenade, auf der man sieht und gesehen wird.
Zwei New Yorks also: das eine eine virtuelle Provinz des Planeten Hollywood, das andere ein geographischer Ort der Erdoberfläche, bevölkert von jungen Menschen, die nicht einmal dann, wenn sie sich entkörpern und fragmentieren, dem Drang widerstehen können,
dort zu sein
. Zwischen dem New York, wie man es sich in Springfield vorstellt, und dem New York der Lafayette Street besteht eine Disjunktion, die zu schätzen ich mich gut gerüstet fühle. Ich bin in Missouri aufgewachsen und während der vergangenen fünfzehn Jahre sechsmal nach New York gezogen. Nie wartete eine Arbeitsstelle oder ein schon bestehender Bekanntenkreis auf mich. Als freier Schriftsteller kann ich leben, wo ich will, allerdings wäre es für mich sinnvoll, einen preisgünstigen Wohnort auszuwählen. Doch jedes Mal, wenn ich in so einem preisgünstigen Ort wohne, drängt es mich wieder, mir New York anzutun – und das trotz meiner Furcht vor Nachbarnmit Fernsehern und Klavieren, meiner Abneigung gegen die Gotham’sche Provinzialität und meiner Immunität gegen seine «kulturelle Lebendigkeit». Wenn ich hier bin, verbringe ich viel Zeit zu Hause; grundsätzlich renne ich in die Museen und Theater erst in Torschlusspanik, also kurz bevor ich wieder wegziehe. Und sosehr ich den Central Park und die U-Bahn auch mag, empfinde ich keine überwältigende
♥
für den Big Apple insgesamt. Die Stadt hat wenig von der ergreifenden Trostlosigkeit von, sagen wir, Philadelphia und nichts von der tiefgehenden Vertrautheit Chicagos, wo ich geboren wurde. Was mich aber immer wieder hinzieht, ist Sicherheit. Nirgendwo sonst bin ich vor der Frage sicher: Warum gerade
hier
?
Insbesondere Manhattan bietet Beruhigung durch hohe Mieten, was besagt, dass es eine Stadt ist, in der die Menschen leben und auch bleiben wollen. Nicht von ungefähr schwärmen die Pariser für New York. Ungeachtet des orthogonalen Straßenrasters fühlen sie sich hier zu Hause, denn zu den Dingen, die Europa zu Europa machen, gehört, dass seine Stadtzentren das öffentliche Leben noch immer nicht abstoßen, sondern anziehen. Umgekehrt kommt New York für einen amerikanischen Mittelwestler wie mich, der nach einem Gefühl kultureller Verortung lechzt, Europa am nächsten.
Die meisten Metropolen Nordamerikas sind dagegen völlig zentrifugal, und der Kontrast zwischen dem unbelebten Straßenraster unserer Innenstädte und den blühenden Zentren Europas hat den Architekten und Essayisten Witold Rybczynski zu der Frage veranlasst: «Warum sind unsere Städte nicht so?» In seinem jüngsten Buch
City Life
macht er sich daran, die «urbanen Zukunftsaussichten» in der Neuen Welt zu untersuchen. Obwohl er große Teile des Buches darauf verwendet, den anderen
Look
unserer Städte zu erklären, weiß er doch, dass dieses «so» etwas Grundsätzlicheres bedeutet: eine urbane
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