Anleitung zum Alleinsein
in einem» an, als ein «nur leicht urbanisiertes Arkadien», dessen Haupteinkaufsstraße, die Germantown Avenue, «genau jene gute alte Fußgängerzone ist, die die Menschen so reizvoll finden». Er spricht von der «langen» Warteliste für die Woodward’schen Häuser.
Um die Wirklichkeit der amerikanischen Städte zu überprüfen, lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die Gegend zu werfen, in der Rybczynski zu Hause ist. Als ich das letzte Mal nach New York zog, kam ich aus Philadelphia. Meine Frau und ich hatten von der Warteliste für die Woodward-Häuser gehört und waren überrascht, als uns bei dem Vorstellungsgespräch, dem sich alle Bewerber unterziehen mussten, gesagt wurde, mehrere Häuser seien sofort verfügbar. Erst später erfuhren wir, dass alle Bewohner, und das waren – im überwiegend schwarzen Philadelphia – Dutzende Familien in den Woodward-Häusern unseres Blocks, Weiße waren. Im nächsten guten Supermarkt und im nächstgelegenen Einkaufszentrum, beide in gemischten Vierteln, sieht man nur selten weiße Kunden aus Chestnut Hill. Wenn ich dort einkaufte, verblüffte mich die beispielhafte Herzlichkeit und Zuvorkommenheit des schwarzen Personals. Da ich wusste, dass ein schwarzer Kunde in einem überwiegend von Weißen frequentiertenSupermarkt oder Einkaufszentrum vermutlich etwas ganz anderes erlebt hätte, fragte ich mich unwillkürlich, ob die Höflichkeit nicht
im Wortsinn
beispielhaft gemeint war. Nämlich so: Wir möchten gern so behandelt werden, wie wir Sie behandeln.
In europäischen Ländern ist die erste Stadt in jeder Hinsicht – Handel, Kultur, Regierung und Demographie – zumeist auch die Hauptstadt. Das frühe Amerika dagegen war so verstreut besiedelt und so misstrauisch gegenüber jeder Machtkonzentration, dass die vier Kennzeichen erst um 1900, als sich Wall Street und Großmedien als Schattenregierung des Landes etabliert hatten, vollständig in New York zusammenfanden. Ein Gradmesser für die anhaltende Vorrangstellung New Yorks ist, dass es nach wie vor als Blitzableiter für den Groll des ganzen Landes dient. Wenn die Amerikaner auf «Washington» schimpfen, meinen sie die abstrahierte Bundesregierung, nicht den District of Columbia. Bei New York aber gilt der Groll der Stadt – wegen ihrer Grobheit, ihrer Arroganz, der Menschenmassen und des Drecks, ihrer moralischen Verkommenheit und so weiter. Umfassender Groll ist das höchste Kompliment, das eine Stadt erhalten kann, und indem er dem Bild vom Big Apple als der nationalen Verbotenen Frucht weiter Nahrung gibt, garantiert er nicht nur, dass es ehrgeizige Gemüter der «If I can make it there, I’d make it anywhere»-Fraktion dorthin zieht, sondern auch, dass ihnen die kulturell am lautesten rebellierenden jungen Leute des Herzlands folgen. Wer seine Herkunft ablehnt und die Absicht, sich neu zu erfinden, deutlich erklären will, kann nichts Besseres tun, als nach New York zu ziehen; ich spreche aus eigener Erfahrung.
Es treibt mich daher ein wenig um, dass der Stadt nun das zusätzliche Kompliment einer vierzehnhundert Seiten starken Enzyklopädie gemacht worden ist. Die
Encyclopedia of New York
City
, herausgegeben von jenem Kenneth Jackson, der auch
Crabgrass Frontier
schrieb, hat eindeutig etwas von einem Abgesang. Sie hat das Gewicht und den Ehrgeiz eines Monuments. Sie ist eine prächtige Auflistung für eine Zeit, die Auflistungen liebt. Als ich das Buch in Händen hielt, schlug ich sogleich das Stichwort «Kanalisation» nach, ein Thema von unvergänglicher Faszination. Ich fand einen guten historischen Überblick, aber keinen Hinweis auf das tägliche Drama der Kanalisation in unserer Gegenwart. Überhaupt leiden fast alle längeren Artikel in der
Encyclopedia
an einer betäubenden Gleichförmigkeit. Jeder Eintrag beginnt mit einer irgendwie schillernden Obskurität aus der frühesten Stadtgeschichte (wenn man beispielsweise über «Intellektuelle» nachliest, erfährt man, dass «der führende Intellektuellenzirkel des späten achtzehnten Jahrhunderts der Friendly Club» war), dann wird der Gegenstand verbissen Dekade um Dekade abgearbeitet, erreicht seine Betriebstemperatur häufig um 1930 (daher werden unter dem Stichwort «Intellektuelle» die Zeitschriften
The New Republic
und
Partisan Review
ausführlicher behandelt) und verläuft am Ende recht trübselig im Sand der Gegenwart («Mitte der neunziger Jahre … wurden in der Stadt weiterhin bedeutende meinungsbildende Zeitschriften
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