Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
Vom Netzwerk:
Lebendigkeit, die Selbstverständlichkeit, in einer Stadt zu leben. Washington, D.C., hatzwar wie Paris diagonal verlaufende Boulevards, eine einheitliche Bauhöhe und eine monumentale Architektur, aber niemand würde die Atmosphäre einer Wohnstraße in Washington um zehn Uhr abends mit dem 14.   Arrondissement verwechseln. Nicht zu verwechseln ist auch die gegenwärtige feindselige Haltung unseres Landes gegenüber Städten. Der Staat New York hat sich an seiner Hauptstadt in der Person des Gouverneurs George Pataki gerächt; geplante Kürzungen bei der Krankenfürsorge für Senioren, der Sozialhilfe und anderen Bundesprogrammen nehmen die Stadtzentren ins Visier wie Interkontinentalraketen, und die Gruppen, die von den Republikanern aus dem Westen und aus den Vorstädten, die im Kongress nun auf dem Vormarsch sind, als das Haar in der Suppe ausgemacht wurden – Arme, Schwule, die liberale Elite, Rapmusiker, von der Kunststiftung NEA gesponserte Performance-Künstler, Regierungsbeamte   –, leben zufällig alle überwiegend in großen Städten.
    City Life
zeichnet die Herkunft dieser Feindseligkeit nach. Bei einem Besuch in Williamsburg, Virginia, staunte Rybczynski, wie er berichtet, nicht «über dessen bemüht ‹historischen› Charakter   … sondern eher darüber, wie vertraut das alles schien». Williamsburg ist der Prototyp der amerikanischen Kleinstadt, charakteristisch nicht nur wegen seiner «räumlichen Großzügigkeit», sondern auch wegen seines Bezuges zur Natur. Europäische Städte waren traditionell von Steinmauern und sozialen Mauern umschlossen; die Zugehörigkeit zur Bourgeoisie (wörtlich: Stadtbewohnerschaft) brachte diverse, eifersüchtig bewachte Privilegien mit sich. Amerikanische Städte waren von Beginn an offen. Da sie von Wildnis umgeben waren, «betonten die Erbauer der Stadt», so Rybczynski, «nicht den Kontrast zwischen dem Natürlichen und dem von Menschenhand Geschaffenen, vielmehr integrierten sie so viele natürliche Elemente in die Stadt wie möglich, sei es in Form von grünen Plätzen, baumgesäumten Straßen oder weitläufigen Gärten». Dass aber gerade die Kolonialstadtzu einer «Apotheose des Hauses» wurde, rührt von dem zufälligen Umstand her, dass Nordamerika von Engländern und Holländern besiedelt wurde, in deren Heimat die wohlhabenden Bürger, anders als in anderen europäischen Ländern, den individuellen Hausbesitz deutlich bevorzugten. In Amerika konnten sich selbst Leute mit bescheidenen Mitteln ein Eigenheim leisten, und Land war so reichlich vorhanden, dass jedes Haus einen Garten haben konnte. Auch war die Entflechtung der Gesellschaft nicht einfach eine räumliche. Rybczynski entdeckt in unserer frühesten Geschichte «eine verblüffende Tendenz zu einer weit verstreuten Homogenität», und er schildert, wie Alexis de Tocqueville, als er um 1830 die abgelegenen Waldgebiete nach der amerikanischen Bauernschaft durchkämmte, statt ihrer einen Siedler fand, der Bücher und Zeitungen besaß und «die Sprache der Städte» sprach. Mit der die Regel bestätigenden Ausnahme der afrikanischen Sklaven und der amerikanischen Ureinwohner gab es nördlich des Rio Grande keine Bauernschaft, und das Ergebnis dieser Disjunktion zwischen dem Ländlichen und dem Bäuerlichen war typisch amerikanisch: Urbanität ohne urbanes Leben.
    In Rybczynskis Darstellung waren die ersten anderthalb Jahrhunderte postkolonialer amerikanischer Geschichte bei der unausweichlichen Verwirklichung dieser proto-suburbanen Ideale im Grunde genommen ein Umweg. Die zupackende Art der Quäker und eine Überfülle von Einwanderern sorgten dafür, dass beispielsweise in Philadelphia, das William Penn als «grüne Kleinstadt» angelegt hatte, das großzügige Straßenraster rasch von Spekulanten parzelliert und mit Häuserreihen zugemauert wurde. Penns Straßenraster, nicht seine grüne Vision wurde zur Norm für die amerikanische Großstadt. Da man zudem von der Stadt als einzigartiger Quelle und Hüterin von Kultur keinen Begriff hatte, gab es wenig, was amerikanische Städte daran hindern konnte, sich zu reinen Wirtschaftszentren zu entwickeln. Sosehrsich die urbane Oberschicht auch nach europäischer Kultiviertheit sehnte, scheiterten Versuche, die Städte mehr «wie Paris» aussehen zu lassen – Daniel Burnhams Plan eines horizontalen Chicago der Parks und Alleen ist vielleicht der berühmteste   –, schon bald an der Wirtschaftlichkeit von Wolkenkratzern oder versanken in der Flut

Weitere Kostenlose Bücher