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Anleitung zum Alleinsein

Anleitung zum Alleinsein

Titel: Anleitung zum Alleinsein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Franzen
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der Einwanderer. In Rybczynskis Worten: «An die Stelle der schönen trat die profitable Stadt.»
    Doch die profitable Stadt funktionierte. Die ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts waren die Blütezeit des urbanen Lebens in Amerika. Im Allgemeinen widerstehe ich dem Impuls, mir zu wünschen, in einer früheren Zeit gelebt zu haben (ich stelle mir immer vor, dass ich an einer Krankheit gestorben wäre, an deren Heilmittel bereits gearbeitet wurde), aber für diese Jahre, als das Herz des Landes in seinen Städten schlug, die Jahre von Lou Gehrig und Harold Ross, der Automatenrestaurants und Wolkenkratzer, Straßenbahnen, Fedoras und wimmelnden Bahnhöfe, mache ich eine Ausnahme. Ich mache diese Ausnahme deshalb, weil mir jene Epoche in dem Kontinuum, das die Kolonisten von Williamsburg und Tocquevilles urbane Waldbewohner mit den Bewohnern der weit verstreuten Reihenhaussiedlungen von heute verbindet, so abseitig, so isoliert vorkommt. Sie kommt mir vor wie eine Zeit, in der sich das Land noch in eine weniger verschwenderische, mehr von Gemeinsinn bestimmte,
europäischere
Richtung hätte entwickeln können.
    Ironischerweise waren diese Jahrzehnte eine Zeit, vielleicht die einzige, als die europäischen Städte, um sich inspirieren zu lassen, nach Westen blickten. Wenn es in
City Life
einen Schurken gibt, so ist es Le Corbusier, der mit einem, so Rybczynski, «Warhol’-schen Talent für Eigenwerbung» um die Welt tourte und seine Vision von der
Ville radieuse
der Zukunft verbreitete. Das Buch bietet einen hübschen Kontrast zwischen der heroischen, deskriptiven Arbeit Tocquevilles im 19.   Jahrhundert und den schlimmen Torheiten Le Corbusiers im 20.   Jahrhundert, dessen Vision präskriptivwar: Superwolkenkratzer, umgeben von Rasenflächen und Superhighways, eine kartesische Trennung von Arbeit und Spiel, von Wohnen und Geschäftsleben. Als Le Corbusier vorschlug, im Zentrum von Paris zweihundertfünfzig Hektar zu schleifen, ignorierten ihn alle bis auf seine französischen Intellektuellenfreunde. In Amerika hingegen beeinflussten seine Ideen eine Generation von Städteplanern und führten schließlich zu Hunderten von städtischen «Erneuerungs»projekten. In Manhattan leben wir noch immer mit der Strahlkraft der NY U-Studentenwohnheime und dem Sozialwohnungsghetto von East Harlem.
    Das Konzept der «strahlenden Stadt», dessen Verbohrtheit heute eine alte Kamelle ist, zerstörte die amerikanische Innenstadt aber keineswegs im Alleingang. Kenneth T.   Jackson beschloss seine Studie über die amerikanische Suburbanisierung,
Crabgrass Frontier
, mit einer hervorragenden Analyse des «dezentralen Wohnens» in Amerika. Das einzigartige Ausmaß der amerikanischen Suburbanisierung führt er auf zwei fundamentale Ursachen zurück: Rassenvorurteile und preiswertes Wohnen. Die Vorstadt hält für den besorgten Weißen ein sicheres Refugium bereit, und eine Vielzahl von Faktoren – hohes Pro-Kopf-Einkommen, billige Grundstücke und Verkehrsmittel, staatliche Subventionen und Steuervorteile – haben die Stadtflucht für die breite Mittelschicht bezahlbar gemacht.
    Die heute wichtigste urbane Zukunftsaussicht für amerikanische Städte ist daher, dass ihre Zentren arm und nichtweiß, ihre Vororte dagegen beruhigend homogen sein werden. Seltsam, dass Rybczynski sich gerade dieser Aussicht nicht bewusst ist. Im letzten Kapitel von
City Life
, «Die beste beider Welten», rühmt er die Siedlung Chestnut Hill in Philadelphia, die in den ersten Dekaden des 20.   Jahrhunderts, als ein ortsansässiger Millionär namens George Woodward und sein Schwiegervater mehrere hundert schöne Miethäuser aus Wissahickon-Schiefer bauten, zu einem Refugium der Mittelschicht wurde. Die Woodward’sche Siedlung mit ihrer mittleren Bevölkerungsdichte, dem parkähnlichen Ambiente und der sorgfältig entworfenen Architektur zeigte den Einfluss der Hampstead Garden Suburb, einer Modellsiedlung, die 1906 vor den Toren Londons begonnen wurde. In ihrem Buch
Tod und Leben großer amerikanischer Städte
bemerkte Jane Jacobs, dass Gartenstädte, da sie weder das öffentliche Leben wirklicher Städte noch die Abgeschiedenheit wirklicher Vorstädte auszeichnet, nur dann gelingen, wenn ihre Bewohner homogen und relativ wohlhabend sind. Rybczynski, der heute ein Haus in Chestnut Hill besitzt, widerspricht Jacobs mit der Behauptung, dass die Siedlung «sozial und wirtschaftlich heterogener geworden» sei. Er preist sie als «eine Kleinstadt und Großstadt

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