Anleitung zum Müßiggang
Leiden seiner Kollegen. Man kann im Halbschlaf in traumhafte Unterwelten eintauchen. Man kann sich sogar vorstellen, man wäre ein romantischer Dichter von heute, der an Schwindsucht leidend von schönen, ihn anhimmelnden jungen Mädchen umgeben ist.
Wenn man die Vorzüge des Krankseins ein wenig genauer betrachtet, könnte man sagen, dass der körperliche Schmerz zu positiver Charakterentwicklung führen kann, dass physisches Leiden dem Geist förderlich sein kann. »Was uns nicht umbringt, macht uns stärker«, schrieb Nietzsche.
Der intellektuelle Nutzen des Krankseins wird von Marcel Proust demonstriert und ausführlich zum Gegenstand des Nachdenkens gemacht. Der berühmte chronisch Kranke, der häufig ans Bett gefesselt war, hatte im Liegen reichlich Zeit, Theorien darüber aufzustellen, warum Kranksein der geistigen Gesundheit förderlich sei: »Es ist doch so, dass nur das Leiden an einer Sache es uns möglich macht, deren Mechanismen, welche man sonst gar nicht kennen würde, zu bemerken, zu begreifen und zu analysieren. Wird ein Mensch, der jeden Abend schwer in sein Bett sinkt und bis zum Augenblick des Erwachens und Aufstehens gleichsam nicht mehr lebt, jemals daran denken, wenn schon keine großen Entdeckungen, so doch wenigstens kleine Beobachtungen über den Schlaf anzustellen?«
Proust wurde von Zeitgenossen beschuldigt, ein Hypochonder zu sein, und das war er vielleicht auch. Aber wie sonst würde er die Zeit gefunden haben, die Hunderttausende von Wörtern zu schreiben, aus denen A la recherche du temps perdu besteht? Und wie sonst würden wir die Zeit finden, sie zu lesen, wären wir nicht manchmal krank? Wäre Proust ein gesundes, kräftiges Mitglied der Gesellschaft gewesen, dann hätte er möglicherweise eine erfolgreiche Karriere in den oberen Regionen des öffentlichen Dienstes hinter sich gebracht, aber die Welt der Literatur wäre sehr viel ärmer.
Es wird unter Schriftstellern recht viel übers Kranksein philosophiert, vielleicht weil sie ein schwächlicher Verein sind. Albert Camus beschreibt zum Beispiel mit typisch gallischer Morbidität die Krankheit als »ein Mittel gegen den Tod, denn sie bereitet uns auf den Tod vor, indem sie eine Lehrzeit schafft, in der der erste Schritt das Selbstmitleid ist. Die Krankheit unterstützt den Menschen im großen Versuch, sich vor der Tatsache zu drücken, dass er mit Sicherheit sterben wird.«
Das ist keine Meinung, die der Gesellschaft nützt, wenn man die Gesellschaft als gut funktionierenden Organismus begreift. Man würde niemals einen Zeitungsartikel finden, in dem es heißt: »Spirituelle Erkenntnisse und Augenblicke tiefer Freude erlebt schlummernder, ans Bett gefesselter Lohnsklave.«
Aber in den fernen Zeiten, als es noch kein Schmerzmittel und Lemsip gab, konnten Krankheiten und Verletzungen nicht einfach unter den Teppich gekehrt und ignoriert werden. Ihnen musste Respekt entgegengebracht, Gehör geschenkt und Zeit zur Entfaltung gelassen werden. Als Samuel Pepys in einer ungeheuer schmerzhaften Operation ein Nierenstein entfernt wurde, eilte er nicht 36 Stunden später ins Büro zurück. Nein. Er hatte das Recht auf eine Genesungszeit von vollen 40 Tagen, in denen er absolut nichts tun durfte.
Man stelle sich das vor! 40 Tage im Bett liegen und nachdenken! Aufgeklärte Arbeitgeber sollten außerdem erkennen, dass ein paar freie Tage es dem Arbeitnehmer ermöglichen können, mit weniger alten Ressentiments und mehr guten Ideen für die Firma ins Büro zurückzukehren. Sagen denn schließlich moderne Firmen nicht ständig, wie sehr sie Kreativität und Innovation zu schätzen wissen? Wie nötig sie Ideen brauchen? Vielleicht ist die Wahrheit eher trauriger – dass sie in Wahrheit Zuverlässigkeit und Fleiß zu schätzen wissen und es nur zu gern sehen, wenn du täglich so viele Stunden, wie du ertragen kannst, mit dem Hintern auf deinem Drehstuhl sitzt. Oder wie es in dem Lied »The Company Way« aus der musikalischen Satire auf die Niederträchtigkeiten im Büro, How to Succeed in Business without Really Trying, aus den sechziger Jahren heißt:
Suppose a man of genius makes suggestions
Watch that genius get suggested to resign.
(Gesetzt, ein Mann von Geist macht Vorschläge,
Schau zu, wie diesem Geist nahegelegt wird zu
kündigen.)
»Genesung« ist ein Wort, das man heutzutage nicht oft hört. Es ist, als hätten wir den Gedanken, dass die Zeit alle Wunden heilt, verbannt und durch eine ganze Batterie von Prozeduren und
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