Anleitung zum Müßiggang
trägt uns über Rede und Sprache hinaus woandershin, an einen magischen, geheimnisvollen Ort, jenseits der menschlichen Erkenntnis und voller Wunder. Wenn wir diesen Anblick in uns aufnehmen, kann er uns mit einer jähen Freude erfüllen, für die ich keine Worte finde. Deshalb überlasse ich sie diesem unendlich weisen Amerikaner, dem großen müßiggängerischen Dichter Walt Whitman:
In unsern besten Stunden steigt ein Bewusstsein, ein Gedanke in uns auf, unabhängig, hoch über allem andern, gelassen wie die Sterne, in ewigem Glanz. Das ist der Gedanke der Identität – der deinigen für dich, wer du auch seist, wie der meinigen für mich. Wunder der Wunder, über allen Ausdruck erhaben, geistigster und duftigster aller Erdenträume, und doch die festeste Grundtatsache und der einzige Zugang zu allem Geschehen. In solchen andächtigen Stunden, inmitten der bedeutsamen Wunder von Himmel und Erde (bedeutsam nur wegen meines Ich im Mittelpunkt), fallen alle Glaubensbekenntnisse und Konventionen ab und werden belanglos vor dieser einfachen Idee. In der Erleuchtung wirklichen Schauens nimmt sie allein Besitz von uns und hat allein Wert für uns. Wie der schattenhafte Zwerg im Märchen dehnt sie sich, einmal entfesselt und erkannt, über die ganze Erde aus und reicht bis ans Dach des Himmels.
(»Democratic Vistas«, 1871)
Wir kommen uns klein vor unter den Sternen, aber paradoxerweise fühlen wir uns mehr bei uns. Wir sind, wer wir sind.
Die Sterne finden sich überall in unserer Sprache. Wir nennen sogar unsere Prominenten »Stars«, was sie symbolisch auf das Niveau von Göttern erhebt. Und wirklich hat die Promikultur von heute etwas mit der deistischen Kultur des alten Rom gemeinsam. Die Römer schauten zu ihren Göttern auf, schrieben und redeten aber auch sehr gern über deren Fehlbarkeiten und Skandale. Die Götter standen über den gewöhnlichen Sterblichen, waren aber auch niederen Trieben unterworfen. Was für ein Unterschied zu dem unfehlbaren christlichen Mono-Gott, der so absolut fehlerlos ist, dass das allein uns schon Schuldgefühle macht. Es ist kein Wunder, dass wir in Zeitungen und Illustrierten gerne von Scheidungen und Drogenproblemen der Prominenten lesen: Wir beneiden sie, aber wir sehen in ihrem Verhalten gern unsere eigenen Schwächen widergespiegelt. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert und davor erfüllte diese Rolle die Aristokratie, sie war es, die irgendwie über dem Niveau der Normalsterblichen zu stehen schien. Es waren ihr Treiben, ihr schlechtes Benehmen, ihre Liebesaffären und Pleiten, die in den Klatschkolumnen der Zeitungen und Zeitschriften festgehalten wurden. Es ist die ewig gleiche Frage: Was für ein Wesen ist der Mensch? Ist er edel und göttergleich oder ein schnaufendes Tier im Kerker niederer Begierden?
Aber die Prominenten-Sterne befriedigen vielleicht unsere Sehnsucht nach modernen Mythen und guten Geschichten, doch sie sind kein Ersatz für die echten glitzernden Diamanten, die jeden Abend überall zum Vorschein kommen und unsere Philosophen und Dichter dazu inspiriert haben, von besseren Welten auf der Erde zu träumen. Epiktet, von dem unser Epigramm am Beginn dieses Kapitels stammt und der als Philosoph zur Schule der Stoiker gehörte, war ein freigelassener Sklave, dessen kindlich-einfältige Visionen ihn zum Kampf für die Rechte des einfachen Mannes aufstachelten. Im Jahr 89 n. Chr. wurde er vom Kaiser Domitian aus Rom verbannt.
Doch zum Himmel hinaufzuschauen, wird von unseren praktisch veranlagten Regierenden als Zeitverschwendung angesehen. Schon unsere Sprache behauptet, dass es eine Tugend ist, fest mit der Erde verwurzelt zu sein, und kritisiert diejenigen mit höher fliegenden Bestrebungen. Schlecht: Kopf in den Wolken, Bodenhaftung verlieren, Luftikus, aus der Luft gegriffen, hinterm Mond, Wolkenkuckucksheim, auf einem anderen Stern. Gut: mit beiden Beinen auf der Erde, fest verwachsen, wohlfundiert, bodenständig.
Wir müssen Partei für die Sterngucker ergreifen, und das tat Oscar Wilde in Lady Windermere’s Fan (1893) mit dem klassischen Satz: »Wir liegen alle in der Gosse, aber einige von uns blicken zu den Sternen empor.« Hier drehte er das moderne Vorurteil, dass der Boden gut – solide, gesund – und dass der Blick himmelwärts irgendwie närrisch, eine Zeitverschwendung, etwas für Verrückte ist, auf geschickte Weise um.
Es ist wirklich merkwürdig, dass im Englischen der Mond mit Wahnsinn (lunacy, moonstruck = verrückt) in Beziehung
Weitere Kostenlose Bücher