Anleitung zum Müßiggang
zu zerstören.
Aber wenn man es versucht, kann man diese verlorenen Momente im Alltagsleben – beim Warten an der Bushaltestelle, beim Sitzen im Café, wenn die Freundin sich verspätet, im Stau auf dem Rücksitz eines Taxis – benutzen, um zu meditieren. Es ist natürlich nicht leicht, ins Nirwana davonzutreiben, wenn man auf dem stickigen
Bahnsteig einer U-Bahnlinie steht, aber es ist möglich. Es liegt nicht außerhalb der Vorstellungskraft. Und je mehr man übt, diese frustrierenden leeren Augenblicke in köstliche nachdenkliche Untätigkeit zu verwandeln, desto besser wird man. Ich will nicht sagen, ich hätte den Bogen raus: ganz und gar nicht. Es passiert mir immer noch, dass ich mit dem Fuß aufstampfe, leise fluche, die Augen zum Himmel verdrehe und hörbar seufze, wenn ich wegen einer Zugverspätung warten muss. In meiner Jugend war ich bekannt dafür, dass ich vor Wut mit der Faust auf die Bushaltestellenschilder gehauen habe. Das passierte gewöhnlich, wenn ich eh schon spät dran war. Ich wusste tief in meinem Innern, dass mein Zuspätkommen mein eigener Fehler war, aber es waren öffentliche Einrichtungen wie Bushaltestellen und Bänke, die die volle Wucht meiner Wut ertragen mussten.
Der Weg des Müßiggängers ist chaotisch. Er versucht, sich Programmen, Theorien, pedantischen geistigen Übungen, Ordnung und Disziplin zu entziehen. Mechanisches Einerlei verdrießt ihn ebenso wie rigide Denksysteme. In Buchläden stapeln sich die Selbsthilfebücher, die versprechen, dass speziell ihre Theorie alle irdischen und geistigen Wünsche wahr werden lässt. Werde besser in deinem Job, in deiner Beziehung, deiner Familie; ändere dein Leben in sieben Tagen. Aber das Problem mit anderen Lebensweisen ist, dass sie einem einfach eine andere Serie von Regeln vorsetzen. Ein »ismus« wird durch einen anderen ersetzt. Die Geist-Körper-Seele-Szene zum Beispiel bietet eine verwirrende Auswahl alternativer Führer, denen schwache Menschen ihr Leben und Geld anvertrauen. Ein Blick in alternative Lifestylemagazine zeigt geradezu schwindelerregende Wahlmöglichkeiten. Tausende von Vitaminzusätzen, Lifestyle-Gurus, Meditationsmethoden, Ecstatic-Dance-Therapien, ethisch nachhaltige Investitionen, Mystic-Fayre-Wochenenden, Trommelworkshops, Komplementärheilpraktiker, geistige Pfade, Techniken der Persönlichkeitserweiterung, Hypnotiseure und Selbsterkenntnis-Sommerakademien streiten miteinander um die Aufmerksamkeit des armen, einsamen Wahrheitssuchers. Alle behaupten sie, eine Antwort auf deine Probleme zu haben, alle kosten sie Geld und alle reden sie dir schlicht und einfach ein, eine Serie von Regeln zugunsten einer anderen aufzugeben, obwohl sicherlich die wahre Lösung ist, die ganze Idee mit den Theorien völlig aufzugeben. Regeln sind so langweilig. Ich habe sie nie im Kopf, und wenn ich sie breche, habe ich ein schlechtes Gewissen. Gott sei Dank bin ich kein Muslim.
Das Verlangen des Müßiggängers ist, ohne Regeln zu leben, oder nur mit Regeln, die er sich selber ausgedacht hat. Er möchte seine innere Kraft entfalten, um vollständige Macht über sich zu haben. Er weigert sich, diese Macht irgendeiner Autorität zu überlassen, ganz gleich welcher und wie wohlwollend diese Autorität auch erscheinen mag. Und je weniger Regeln es gibt, desto weniger besteht die Möglichkeit, sie ständig zu übertreten und Energie in Schuldgefühle zu vergeuden. Es ist einfach, zum »Sklaventreiber seiner selbst« zu werden, wie Thoreau sagt. Wir schaffen für uns ganze Serien von Verhaltensregeln, und fühlen uns schlecht, wenn es uns nicht gelingt, nach ihnen zu leben.
Einer der Mythen, die die Leute am Meditieren hindern, lautet, dass es schwierig ist. Dieser Mythos kommt den verschiedenen Meditationsschulen entgegen, in deren Interesse es liegt, die Meditation als etwas darzustellen, was von Fachleuten gelehrt und von Leuten gelernt, also bezahlt werden muss. Die verwirrende Masse an Meditationstechniken baut weitere Barrieren zwischen dem Durchschnittsmenschen und der Kunst der Versenkung ins Innere auf. Nichtstun erscheint paradoxerweise als reiner Nervenkrieg.
Wenn uns klar wäre, dass Meditation schlicht bedeutet, ins Leere zu starren, dann wäre sie viel mehr Leuten zugänglich. Meditieren ist leicht. Mehr als ein Fenster ist nicht nötig. Ich weiß noch, dass ich imstande war, zwanzig Minuten hintereinander einfach aus dem Fenster zu starren, als ich zur Schule ging. Das ist Meditation, obwohl meine Lehrer es
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