Anleitung zum Müßiggang
jenseits des Intellektuellen, Emotionalen und Körperlichen liegt. Wir versuchen uns dagegen zu wehren, dass wir unter mentalem Treibgut, irdischen Sorgen und Ängsten aller Art verschüttet werden. Der Gedanke dabei ist, dass wir Kraftreserven aufbauen, die es einfacher machen, mit den Problemen und Kämpfen des Lebens fertig zu werden, wenn wir das innere Ich auf diese Weise nähren. Nur wenn unser Geist erschöpft und unsere Seele unterernährt ist, können uns die Probleme in die Knie zwingen.
Mein Vater praktiziert Meditation bei einer Gruppe namens Brahma Kumaris, und seit inzwischen zwanzig Jahren steht er jeden Morgen um vier auf, um eine Stunde lang nichts zu tun, bevor der Tag beginnt. Ich habe ihn neulich gefragt, warum 4 Uhr morgens als die beste Zeit dafür gilt, seine Seele im Kosmos umherwandern zu lassen:
Vier Uhr morgens mag sich für manchen wie ein Albtraum anhören, aber vorausgesetzt, man ist zur rechten Zeit zu Bett gegangen und hat genügend geschlafen, kann es die beste Zeit des Tages sein, um sich mit positiver Gedankenenergie zu versorgen. Ja, es ist nicht einmal Gedankenenergie, eher ein Gefühl des Friedens und zugleich ein Gefühl des Wohlbefindens und der guten Gefühle gegenüber anderen … Wenn man sich zu dieser Zeit richtig auflädt, ist es wie ein geistiges Frühstück. Es ist viel wahrscheinlicher, dass man den ganzen Tag hilfsbereit bleibt als dass man streitsüchtig wird. Es ist komisch, aber es funktioniert. Es ist zum Teil eine Frage des individuellen Rhythmus, den Geist auf diese Weise einzustellen, während die Gehirnnerven noch frisch sind und bevor die Weckhormone zu kreisen begonnen haben – bevor man sich an die Geschäfte des Tages macht.
Der Muslim ist zu einer ähnlich strengen Prozedur verpflichtet. Als Teil des Morgengebets, das direkt vor Sonnenaufgang abgehalten wird, muss er zweimal sagen: »Beten ist besser als schlafen.« Eine gewisse Überzeugungsarbeit ist vermutlich nötig, weil sein ganzes Wesen lieber wieder ins Bett zurückkriechen würde. Das Argument für dieses frühe Aufstehen ist, dass es dem Menschen hilft, sich den ganzen Tag lang in fromme Stimmung zu versetzen. »Lobpreise deinen Herrn vor dem Aufgang und vor dem Untergang der Sonne! Und preise (ihn) zu gewissen Zeiten der Nacht und an den Enden des Tages! Vielleicht bist du dann zufrieden und beruhigt«, sagt der Koran.
Leider ist für mich schlafen besser als beten. Die Regeln meines Vaters sind mir ein bisschen zu streng; um 4 Uhr morgens aufzustehen, ist meiner Vorstellung nach die reine Hölle. Meistens werde ich sowieso vor sieben vom gellenden Herumgetolle kleiner Kinder geweckt, und darüber bin ich fast immer grantig, wie süß ihre kleinen Gesichter auch sein mögen, wenn sie mir auf dem Kopf herumhüpfen. Die Berufung meines Vaters verlangt eine andere Routine; in dem spirituellen Zentrum, in dem er lebt, wird auf allen Gängen und in allen Sälen regelmäßig alle paar Stunden für fünf Minuten die Musikberieslung angeschaltet, und dann muss jeder seine Tätigkeit unterbrechen und eine Weile nachdenken. Alles sehr schön und gut, aber viel zu pedantisch und diszipliniert für den Müßiggänger, der lieber den Augenblick ergreifen würde, wenn er sich bietet.
Ich würde für eine viel zwanglosere Methode plädieren. Mir kann es irgendwann zwischendurch einfallen zu meditieren. Es kann passieren (und oft passiert es), wenn ich aus einem Zugfenster schaue, was immer eines der wahren müßiggängerischen Vergnügen ist. Aber es ist nicht immer leicht. Die Leute wickeln heute ihre Geschäfte in der Eisenbahn ab, und man ist gezwungen, ihr fades Gelaber und Geprotze mitzuhören. Neulich hatte ich einer jungen Dame zuzuhören, die ihren Chef fragte, ob nicht ihr Name bei einem bestimmten Projekt statt unter »Recherche« unter »Leiterin der Recherchegruppe« genannt werden könnte, weil, sagte sie, »ich zu dem Projekt mehr beigesteuert habe als die anderen Mädchen«. Auf derselben Reise hatte ich außerdem einen Langweiler zu ertragen, der alle seine Freunde anrief, um ihnen zu erzählen, wie gut sein Vorstellungsgespräch gelaufen sei. Er benutzte einen Ausdruck, den ich oft in ausgesprochen langweiligen Zusammenhängen höre: »Echt spannend.« Es ist schwierig, ins Nowhereland abzudriften, wenn wegen der Wut auf Handybenutzer die Weckhormone wie verrückt in einem kreisen. Wilde Fantasien, ihre Handys aus dem Zugfenster zu werfen, haben die Neigung, die Suche nach innerer Ruhe
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