Anleitung zum Müßiggang
wir unseren Redaktionsschluss einen Tag zu spät machten? Man muss Widerstand leisten gegen eine solche masochistische Selbstbestrafung, die aus einer Mischung aus Schuldgefühlen und Wichtigtuerei entstanden ist.
Leute, die behaupten, sie schliefen nicht, haben etwas unangenehm Herrisches und Brutales an sich. Ihre Gier, ihr Leben vollständig unter Kontrolle zu haben, lässt sie das Vergessen fürchten. Sie haben Angst vor dem Schlaf. Schlaf sei etwas für die Schwachen, finden sie. Eine Figur in Jonathan Coes Roman House of Sleep (1998) drückt es so aus:
Können Sie sich vorstellen, was es für eine Frau von Mrs. Thatchers Kaliber, mit ihrer moralischen Wesensart bedeuten muss, jeden Tag gezwungen zu sein, sich in einer Haltung kriechender Ergebung niederzulegen? Mit kampfunfähigem Gehirn und trägen und erschlafften Muskeln? Es muss unerträglich sein.
Der Schlaf selbst kann als radikaler Akt gesehen werden, als etwas, für das man kämpfen muss in einer Welt, die die Tätigkeit vorzieht. John Lennon war ein großer Verteidiger des Schlafes. In »I’m Only Sleeping« beschimpft er die Plagegeister, die ihn faul nennen, weil er zu lange schlafe, und nennt sie verrückt, weil sie vergeblich in der Welt herumhetzen. Was kann für die Welt weniger schädlich sein als Schlafen? Warum wollen die Leute uns ständig wecken? Warum können sie uns nicht in Ruhe lassen? John Lennon ist außerdem der Beweis, dass eine schläfrige Lebensart große Kunst hervorbringen kann. Mit wem würdest du lieber auf eine einsame Insel fahren, mit Thomas Edison oder John Lennon? Thatcher oder Einstein? Wer hat der Welt mehr zu geben und richtet in ihr den geringeren Schaden an, die Schlafmützen oder die halb verrückten Schlafverweigerer?
In den sechziger und siebziger Jahren glaubte man allgemein, eines Tages würden alle Arbeiten im Haushalt von Robotern mit künstlichen Krawatten durchgeführt werden, und uns stünde es dann frei, schlummernd herumzuliegen wie in Woody Allens Filmklassiker Sleeper. In der Wirklichkeit aber war die Technik in der Frage der Arbeitsentlastung eine totale Pleite. Arbeitssparende Erfindungen haben keine Arbeit eingespart. In seiner grundlegenden Schrift In Praise of Idleness nennt Bertrand Russell das Beispiel einer Nadelfabrik. In dieser Nadelfabrik arbeiten die Arbeiter acht Stunden pro Tag, und damit werden genug Nadeln für den Weltbedarf produziert. Dann kommt eine technische Verbesserung auf:
Jemand macht eine Erfindung, durch die die gleiche Anzahl Männer zweimal so viele Nadeln herstellen kann. Nadeln sind bereits so billig, dass kaum anzunehmen ist, dass zu einem niedrigren Preis mehr Nadeln verkauft werden. In einer vernünftigen Welt würde jedermann in der Nadelproduktion dazu übergehen, vier Stunden arbeiten zu lassen statt acht, und alles andere würde so weitergehen wie zuvor. Doch in der tatsächlichen Welt würde das für demoralisierend gehalten werden. Die Männer arbeiten weiter acht Stunden, es gibt zu viele Nadeln, einige Unternehmen gehen pleite und die Hälfte der Leute, die zuvor mit der Nadelproduktion beschäftigt waren, verlieren ihre Arbeit.
Ein Vierstundentag ist eine überaus vernünftige Art, unser Leben zu führen. So hätten wir eine Menge mehr Zeit zum Schlafen, denn es sind die langen Arbeitstage, die sich in unsere Schlafzeiten hineinfressen. Um im Büro die Nase vorn zu behalten, arbeiten wir länger, lassen das Mittagessen aus und arbeiten vielleicht sogar zu Hause. Nach einer kurzen Nacht mit vielleicht nur vier Stunden Schlaf schleppen wir uns ins Büro, sitzen dort den ganzen Tag wie Zombies herum und reden auf Konferenzen dummes Zeug. Viel besser wäre es, wir holten Schlaf nach und gingen erst nach dem Mittagessen zur Arbeit. Aber das scheint gesellschaftlich nicht akzeptabel zu sein. Gott behüte, dass wir in der Wochenmitte und nicht während einer gesetzlich festgeschriebenen Freizeit unseren Spaß hätten!
Ich beschwöre die Wissenschaftler, uns zu Hilfe zu kommen und mit dem Erfinden sinnloser technischer Kinkerlitzchen aufzuhören. Ich beschwöre die Arbeitgeber, ihre Arbeiter schlafen zu lassen. Und ich beschwöre alle Leser, dem mächtigen Schlaf den Respekt zu zollen, den er verdient, und sich seiner Macht zu unterwerfen.
6 UHR MORGENS
Im Urlaub
Ich glaube, wenn ich zwei oder drei Tage lang nichts als nachdenken könnte, würde ich alles umstoßen … Ich sollte eigentlich einmal ins Büro gehen und meinem Chef das Hirn aus dem Schädel
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