Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
war eine kubanische Zigarre. Eine Cohiba. Sooo lang. Die kostet zwanzig, vielleicht dreißig Euro. Wer so etwas raucht, kann nicht arm sein! Ein Geschäftsmann vermutlich …«
So hörte er sie in seiner Phantasie schon reden. Die Menschen ließen sich so leicht bluffen.
Der Wind machte ein gleichmäßiges Anzünden schwer, aber als er es endlich geschafft hatte, wusste er, dass sich später niemand an seine Augenfarbe würde erinnern können.
Dann hatten auch die Letzten begriffen, dass es sich nicht um einen Unfall handeln konnte. Die Frau war nackt, und jemand hatte ihr die Kehle durchtrennt.
Eine Rentnerin aus Hagen fiel in Ohnmacht, und ein Filialleiter aus Recklinghausen bekam plötzlich so ein Engegefühl in der Brust. Zwei Stunden später erlitt er im Hotel zum Deichgraf einen Herzinfarkt. Nur der entschlossenen Handlungsweise seiner umsichtigen Ehefrau verdankte er sein Überleben, denn gegen jeden Protest seinerseits, es sei doch alles halb so wild und käme nur vom Rücken, weil er sich mit den Koffern verhoben hätte, rief sie den Notarzt.
Der fränkische Weinstand und der Leberkäsverkäufer machten an diesem Abend einen grandiosen Umsatz. Die Tote lockte mehr Menschen an als jede Musikkapelle beim Kurkonzert. Blitzartig sprach sich in Pensionen, Hotelbars und Restaurants herum, dass eine nackte Tote mit kahlrasiertem Schädel unter der Hüpfburg gefunden worden war.
Heftig zerrte der Wind an den Buden und drückte die Menschentrauben näher zusammen. Einige sprachen schon von Sturmböen und Unwetterwarnungen, die das Auslaufen der Fähren verhindern würden. Aber das waren wohl mehr Phantasien von Großstädtern, die die Insel im Grunde unheimlich fanden. Jedenfalls blieben sie, auch nachdem die Leiche längst abtransportiert worden war, noch lange stehen und trotzten dem böigen Wind.
Theorien wurden aufgestellt, Personen verdächtigt, Beobachtungen ausgetauscht, und so mancher Nordseeliebhaber wurde zum selbsternannten Mitglied einer SOKO . Ein Boutiquenbesitzer aus Düsseldorf wetteiferte mit einem Steuerberater aus Dortmund darüber, wer von ihnen der bessere Profiler war.
Erst der einsetzende Hagel vertrieb auch die tapfersten, leicht angetrunkenen Hobby-Ermittler.
Ann Kathrin stand im Distelkamp unter der Dusche und genoss, wie das warme Wasser an ihr herunterperlte. Sie hielt die Augen geschlossen, atmete in den Bauch und konzentrierte sich ganz auf die Wahrnehmung der Wassertropfen auf ihrer Haut. Sie rollte die Zungenspitze nach oben und drückte sie hinten gegen den Gaumen. So gelang ihr die entspannende Bauchatmung am besten, und sie nahm eine kurze Auszeit von den Ansprüchen und der Hektik der Welt.
Problemgedanken kamen wie Wolken am Himmel, und Ann Kathrin nahm sie wahr, ließ sie aber ziehen und machte nicht den Versuch, sie aufzuhalten.
Eigentlich hätte sie jetzt mit Weller in den Flitterwochen sein sollen. Sie bekam Lust auf ihn. Ja, sie gestand sich das ein. Sie hätte jetzt am liebsten sofort Liebe mit ihm gemacht, aber er war noch auf einer Landstraße unterwegs, von einem Gespräch in Westerstede auf der Heimfahrt.
Sie trocknete sich mit einem flauschigen Badehandtuch ab, als ihr iPhone den Seehund erklingen ließ. Sie griff in der Hoffnung hin, Franks Stimme zu hören, aber stattdessen war Marion Wolters dran.
»Ann, tut mir schrecklich leid, dass ich dich rausklingele, aber ich glaube, das solltest du wissen: Auf Norderney wurde eine Leiche gefunden, und wenn ich dem echt verstörten Kollegen Benninga Glauben schenken darf, dann wurde ihr nicht nur der Hals durchgeschnitten, sondern es stimmt auch etwas mit ihrer Haut nicht. Als sei sie irgendwo festgeklebt gewesen.«
»Festgeklebt?«
»Ja, das hat er gesagt. Und ihr Kopf wurde kahlrasiert.«
Ann Kathrin war inzwischen mit dem Handtuch in den Flur gegangen und stand vor ihren Schuhen, so als wollte sie jeden Moment das Haus verlassen.
»Ist die Identität der Toten bekannt?«
»Noch nicht. Wir hatten hier gestern eine Vermisstenanzeige. Eine gewisse Michaela Warfsmann wurde von ihrem Mann gesucht … Aber ich habe ihn beruhigt und …«
Es war, als hätte sie im Dunkeln in ein Stück Schokolade gebissen und nun statt zartem Schmelz Alufolie zwischen den Zähnen. Ann Kathrin lief ein Schauer über die noch nicht ganz trockene Haut. »Warfsmann?«
»Ja.«
Warfsmann war an der Küste kein sehr seltener Name, aber ihr kam die Sache trotzdem merkwürdig vor.
»Adresse?«
»Auf Norderney wohnen sie im
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