Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
diese schöne Situation hier heute Morgen nutzen, um uns alles zu erzählen, und er hatte vor, uns seine Freundin vorzustellen. Er wollte sie mit zu uns nach Hause bringen, und was hast …«, er schluckte, »haben wir daraus gemacht?« Sie wusste genau, dass er zunächst vorhatte zu fragen:
Was hast du daraus gemacht?
Er hatte die Kurve in der letzten Sekunde gekriegt, aber eben doch ein bisschen zu spät. Es war nicht ihr erster Streit, aber zum ersten Mal spürte sie etwas Grundsätzliches.
»Was ist so schlimm daran?«, fragte Hero noch einmal und zeigte ihr seine geöffneten Handflächen, »wenn seine Freundin sechs oder sieben Jahre älter ist als er? Na und?«
In dem Augenblick wurde ihr klar, dass der Altersunterschied zwischen Hero und ihr vergleichbar war. Und vermutlich auch der zwischen Frank Weller und Ann Kathrin. Die Idee, dass der Junge nur seine Eltern nachmachte, deprimierte sie noch mehr.
Sie sah zur Uhr. Sie hatten um kurz nach zehn als intakte Familie gemeinsam den Frühstückstisch gedeckt, um einen schönen freien Tag miteinander zu verbringen. Jetzt war es dreizehn Uhr zwanzig, und sie hatte das Gefühl, vor den Trümmern ihres Lebens zu sitzen. Und da war eine Ahnung in ihr, dass alles noch viel schlimmer kommen würde.
Michaela Warfsmanns Leiche wurde mit der Fähre zum Festland gebracht, auf der auch Ann Kathrin fuhr.
Kurz nachdem sie die Fähre betreten hatte, erreichte sie eine E-Mail-Nachricht von Bernd Küppers, er sei wieder in Deutschland und auf dem Weg zu seinem Ferienhaus in Neuharlingersiel. Ob sie Lust hätte, ihn zu treffen, er würde sie gerne auf einen kleinen Imbiss ins
Dattein
einladen. Das sei eine urgemütliche Kneipe ganz in seiner Nähe, im vermutlich ältesten Haus Neuharlingersiels. Es folgte eine blumige Beschreibung der Einrichtung.
Sie las nicht weiter, war aber froh, den Filmproducer kennenlernen zu können, ohne eine Dienstreise nach Südtirol beantragen zu müssen, womit sie aller Erfahrung nach sowieso nicht zeitnah durchgekommen wäre.
Sie sah Weller in Norddeich-Mole am Landungssteg stehen. Er winkte, aber sie sah ihm von weitem an, dass etwas nicht stimmte. Noch war er nicht größer als eine dieser Spielzeugfiguren, mit denen Eike als Junge so gern ein ganzes Indianerlager aufgebaut hatte. Immer wieder hatte sie ihm neue, einzelne Figuren hinzugekauft. Sie erinnerte sich gern an diese Zeit. Damals hatte sie noch geglaubt, dass zwischen ihnen beiden alles in Ordnung sei. Sie brachte ihm Büffel mit, Reiter, Späher, Zelte, einmal ein Lagerfeuer und dann einen Friedenspfeife rauchenden Sioux.
Damals ließ er sich gern abends von ihr vorlesen und fand es wunderbar, eine Mutter zu haben, die Kinderbücher sammelte. Später, in seiner Gymnasialzeit, wurde er dann zum Lesemuffel, der sich lieber Filme ansah, statt zu lesen.
Sie fragte sich, woher sie so genau wusste, dass es Weller nicht gutging. Er hatte eine Nachricht für sie. Eine schlechte Nachricht.
War er nur deshalb gekommen?
Sein Gesicht konnte sie doch noch gar nicht erkennen, trotzdem wusste sie es. Es lag auch nicht an seiner Körperhaltung, sondern da war eine Ausstrahlung, die über die ganze Fläche des Wassers hin spürbar war. Eine Verunsicherung, als sei etwas passiert, was nicht hätte geschehen dürfen. Etwas Unvorhersehbares.
Sie spürte es wie einen Stich im Körper. War Ubbo gestorben? War es das? Es musste auf jeden Fall etwas sein, das er ihr nicht per SMS mitteilen und auch nicht am Handy erzählen konnte. Etwas, wozu er körperlichen Kontakt brauchte. Bei ihr sein wollte. Vielleicht, um sie zu halten oder weil er es selbst brauchte, gehalten zu werden?
Sie versuchte, ihre eigenen Gedanken abzuschütteln. Was sind das für Horrorvorstellungen, fragte sie sich. Wie komme ich darauf? Da steht ein liebender Mann und wartet auf mich, und ich mache einen Albtraum daraus.
Sie versuchte, cool zu bleiben, aber dann erwischte sie sich dabei, dass sie als Erste von Bord rannte, nachdem die Fähre angelegt hatte.
Sie fielen sich in die Arme wie ein liebendes Paar, aber er drückte sie einen Moment zu lang und zu fest, so, als müsse er sich vergewissern, dass sie wirklich bei ihm war.
Sie wollte ihn nicht gleich mit Fragen löchern, sondern ihm ein bisschen Zeit lassen. Gemeinsam gingen sie zum Parkplatz, während sich zwei Möwen um den Sitzplatz auf einer Dalbe stritten und dabei einen mörderischen Lärm veranstalteten.
Weller hatte sich eigentlich vorgenommen, Ann Kathrin erst
Weitere Kostenlose Bücher