Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
durchgerungen, ein Geständnis abzulegen. Er wollte reinen Tisch machen und dann, sofern man ihm die Chance dazu gab, ein neues Leben beginnen.
Er war so gerührt von seinem eigenen Entschluss, dass ihm die Tränen kamen, als er der Krankenschwester Jutta Schnitger davon erzählte.
Sie lächelte ihn freundlich an. »Das ist gut«, sagte sie, »das ist sehr gut.«
Dann ließ sie ihn zum Telefonieren allein. Aber in der Polizeiinspektion Aurich hatte man im Augenblick andere Sorgen.
Frau Polizeioberrat Jutta Diekmann war gekommen. Vierzig Jahre alt. Ein Meter fünfundsechzig groß. Knappe fünfzig Kilo schwer. Ein Body-Mass-Index von 18 , 4 , wie sie nur zu gern betonte. Sie kontrollierte täglich ihr Gewicht, hatte einen genauen Überblick über ihre Kalorienzufuhr und wusste, wie hoch der Eiweißanteil in jedem Essen war. Sie glaubte, sich und ihr Leben absolut im Griff zu haben. Und nun wollte sie die Polizeiinspektion Aurich ebenso unter Kontrolle bekommen wie ihr Gewicht, ihren Ehemann und ihre fondsgestützten Vermögensanlagen. Mit Staatsanwalt Scherer war sie sich einig: Hier in Ostfriesland lag einiges im Argen.
Für sie war dies hier ein rückständiger Küstenstreifen und nicht mehr als eine Stufe auf ihrer Karriereleiter, und zwar eine, die sie so rasch wie möglich nehmen wollte. Sie hatte vor, ganze Arbeit zu leisten.
Ubbo Heide lag im Krankenhaus, mit der Aussicht darauf, nie wieder zum Polizeidienst zurückzukehren – das war für sie so etwas wie ein schwerer Verkehrsunfall für die Erstbesetzung der Hauptrolle am Staatstheater. Jetzt wurde ein Platz frei, und jemand bekam die Chance, sich zu beweisen.
Sie trug ein marineblaues Kostüm, blickdichte Strümpfe und schwarze Lederschuhe, die sie ein bisschen größer aussehen ließen, als sie in Wirklichkeit war.
Sie galt als Aktenfresserin und hatte sich in den letzten Stunden auf ihren Auftritt vorbereitet. Sie glaubte, alles über jeden zu wissen. Zumindest das, was die Personalakten hergaben.
Und jetzt sollten sich alle versammeln zu einer Dienstbesprechung. Einem Großreinemachen.
Alle anderen Termine sollten abgesagt werden. Sie wollte von Anfang an klarstellen, dass hier ab jetzt andere Prioritäten gesetzt würden.
Pille hatte nicht gerade damit gerechnet, dass ihm ein roter Teppich ausgerollt werden würde, aber doch mit ein wenig Erleichterung, Verständnis, Entgegenkommen. Er war jetzt sehr durcheinander. Er wusste selbst nicht genau, was er erwartet hatte, aber Marion Wolters, die er am Telefon hatte, schien sich nicht sehr für ihn und seine Ankündigung: »Ich bin bereit zu gestehen«, zu interessieren.
Marion Wolters fragte nach seinem Namen, seinem Geburtsdatum, wollte seinen genauen Wohnort wissen, dann, wo er sich im Moment aufhalte.
Pille brüllte ins Telefon: »Verdammt nochmal, ich bin der Mann, der Ihrem Chef das Messer in den Körper gerammt hat!«
»Ja, dass Sie Ihre Gefühle nicht im Griff haben, ist ja ganz deutlich, oder warum schnauzen Sie mich so an? Ich mache hier nur meinen Job. Ich stelle Ihnen die Fragen, die ich Ihnen stellen muss. Oder soll ich gleich eine Meldung rausgeben, mit etwa folgendem Wortlaut:
Da hat gerade einer angerufen. Keine Ahnung, wie er heißt oder wo er wohnt, aber er will ein Geständnis ablegen.
Telefonisch geht so etwas sowieso nicht. Da könnte sich ja jeder als jedermann ausgeben … Also, wenn Sie eine Aussage zu machen haben, müssen Sie sich schon in die Polizeiinspektion bequemen.«
»Ich liege im Krankenhaus!«
»Na ja, dann hat das ja sowieso alles noch Zeit, der Fall ruht im Augenblick.«
Zornig drückte Pille das Gespräch weg.
Nie werde ich ernst genommen, dachte er. Nie. Egal, von wem. Egal, was ich mache. Alles, was ich anfasse, wird zu Scheiße, und selbst wenn ich ein Tor schieße, dann entpuppt es sich meist als Eigentor.
Als Holger Bloem Ann Kathrin endlich erreichte, wusste sie bereits, während er »Ann, hier ist Holger«, sagte, dass etwas von großer Bedeutung geschehen war. Seine Stimme hatte sich noch nie so angehört wie jetzt. Da waren eine Verunsicherung und gleichzeitig eine Entschlossenheit zu spüren, als würde sie nicht mit dem einfühlsamen Journalisten reden, sondern mit einem Krieger, der die feindlichen Truppen gesehen und ihre Übermacht erkannt hatte.
»Er hat mir geschrieben, Ann.«
»Bist du sicher, dass er es ist, oder spielt sich einer auf?«
»Er hat mir Fotos geschickt.«
»Fotos?«
»Ja. Er will mir eine Exklusivstory geben, wenn
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