Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
dieses kleine Mädchen hier, mit den fliegenden Haaren? Sie ist gerade ganz hoch oben.«
Das Kind hielt die Arme ausgebreitet wie Fallschirme, und Ann Kathrin beschlich ein Verdacht. »Hat jemand von euch die Tochter von Frau Warfsmann überhaupt schon mal zu Gesicht bekommen?«
»Du meinst …«
Sylvia Hoppe öffnete die Tür, lugte kurz herein und sagte: »Du bist dran, Ann. Du sollst jetzt zu ihr kommen. Toi, toi, toi.«
»Jetzt nicht«, antwortete Ann Kathrin kurz angebunden.
Bevor Sylvia Hoppe die Tür wieder schloss, lachte sie: »Sie ist zwar ein Drache, aber sie wird dir nicht gleich den Kopf abbeißen.«
»Wenn wir das nicht veröffentlichen, wird er es spätestens morgen früh wissen«, gab Holger Bloem zu bedenken. »Ich kann ihn also nicht lange hinhalten.«
»Sag ihm, dass du ihn sprechen willst, Holger. Bitte ihn um ein Interview.«
Holger Bloem wusste sofort, dass Ann Kathrin es ernst meinte. »Du denkst, ich sollte mich mit ihm treffen?«
Weller reckte die fünf Finger seiner rechten Hand hoch über dem Schreibtisch in die Luft, ballte sie dann zur Faust und sagte: »Und dann packen wir ihn uns. Zugriff!«
»Der ist doch nicht blöd. Der lässt sich doch nicht auf ein Treffen mit mir ein.«
»Der ist vor allen Dingen publicitygeil, Holger.«
Holger Bloem strich sich über den Bart. »Da wäre ich mir nicht so sicher.«
»Na, wenn sich jemand an die Presse wendet«, warf Weller ein.
»Ja. Aber er hat sich eben an mich beziehungsweise das
Ostfriesland-Magazin
gewendet.«
»Diese Bilder an irgendeine Presseagentur, und morgen hat kein Blatt mehr ein anderes Thema auf Seite eins«, sagte Ann Kathrin. »Du hast recht, Holger. Es geht hier nicht einfach nur um Öffentlichkeit. Er will dich benutzen.«
»Um was zu tun?«, wollte Holger Bloem wissen.
»Keine Ahnung. Aber mach ihm ein Angebot.«
Zu dritt versuchten sie, eine E-Mail zu formulieren. Die erste Frage war schon, wie redete man ihn an? Als »Liebe Frau Ines Küppers«? »Sehr geehrte Frau Küppers«?
Gleichzeitig waren sie sich alle bewusst, dass sie es gar nicht mit einer Frau, sondern mit einem Mann zu tun hatten. Sie gingen gemeinsam davon aus, ohne dass ausgesprochen wurde, woran es lag. Vielleicht die Grausamkeit der Tötungen. Vielleicht, weil man viel Körperkraft brauchte, um die Leichen zu transportieren.
Aber da war noch etwas anderes. Das Ganze wirkte auf eine verrückte Weise männlich, da waren sich alle drei einig.
Sylvia Hoppe öffnete noch einmal die Tür. »Ich glaube, sie ist nicht gewohnt zu warten, Ann Kathrin. Sie macht schon einen recht ungehaltenen Eindruck …«
Ann Kathrin nickte und sagte: »Ja, danke, Sylvia«, kümmerte sich aber überhaupt nicht darum, sondern war ganz auf die Antwort-E-Mail konzentriert.
»Wenn wir ihm schreiben können, müssen wir auch herausfinden, wer und wo er ist.«
Seit Charlie Thiekötter einen neuen Bypass hatte, ging es ihm wesentlich besser. Er saß jeden Abend eine halbe Stunde auf dem Fahrrad und ersetzte jeden Tag eine Mahlzeit durch einen Obstteller. Abwechselnd morgens, mittags oder abends schälte er Bananen und Äpfel. Auch der Schokoladenriegel zwischendurch wurde durch einen Apfel oder eine Birne ersetzt.
Jetzt schälte er sich gerade gedankenverloren einen Royal Gala aus Südtirol.
In dem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen und POR Jutta Diekmann hatte ihren großen Auftritt.
»Schön, Sie hier in trauter Runde zu sehen. Ich erwarte Sie nebenan zum Gespräch. Darf ich fragen, warum Sie nicht erscheinen, Frau Klaasen?« Bevor Ann Kathrin antworten konnte, setzte sie ihre Frage fort: »Soll ich es als Versuch Ihrerseits einordnen, mir zu zeigen, wie unwichtig ich bin und dass Sie sich von einer wie mir sowieso nichts sagen lassen oder …«
Ann Kathrin fuhr dazwischen: »Nein, keineswegs. Ich setze einfach nur Prioritäten. Wir haben es hier mit einer Mordserie zu tun. Ines Küppers, Christoph Willbrandt und Michaela Warfsmann. Der Täter wird weitermachen, wenn wir nicht …«
Jutta Diekmann trat jetzt ein, schloss die Tür hinter sich und lächelte gespielt milde, ja, verständnisvoll.
»Ein Serienkiller. Natürlich, Frau Klaasen. Das hätten wir bei Ihnen auch gar nicht anders erwartet. Haben Sie sich den zum Geburtstag gewünscht?«
Weller fand den Ton empörend. So konnte man mit seiner Ann Kathrin nicht reden. Er ahnte, dass eine Schlechtwetterfront heraufzog, und war bereit, sich den Stürmen zu stellen. Er hatte als Ostfriese die Erfahrung
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